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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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rotem Dreispitz kräftig nach. Die meisten der rund fünfzig Gäste hatten allerdings weniger Aufwand mit ihrer Garderobe betrieben und sich bloß eine baútta übergeworfen, violett oder auberginefarben schimmernde Capes, die ihre normale Bekleidung verhüllten. Als larva trugen viele nur Augenmasken. Auffällig beliebt waren in diesem Jahr goldene mit blau melierten Federn.
    Der Katzenfrau, die sich bereits demaskiert hatte, baumelte die Augenmaske jetzt unterm Kinn. Ihr Kostüm bestand aus einem eng anliegenden Overall aus Plüsch. Am Hintern fehlte allerdings etwas, wie Henry Lauterbach festgestellt hatte. Dabei war der Schwanz für Katzen doch unverzichtbar, um nach einem Sturzflug sicher landen zu können … Er hatte bereits erfahren, dass sie Réa hieß, aus dem Elsass stammte, eine bekannte Aktionskünstlerin und die Freundin des Kardinals in der violetten Robe war, Severin Belzer. Der waltete im wirklichen Leben seines Amtes als lutherischer Pfarrer am Matthäus-Münster. Réa und Severin waren also ein Paar, das wollte sich Henry merken, genau wie Aldo und Carla Bellini, die Gastgeber des heutigen Abends, nur dass die offiziell miteinander verheiratet waren.
    Die Band hatte mit einem Hit aus den Siebzigern eingesetzt, Sugar Sugar – von den Archies, wie Henry zu wissen glaubte. Eigentlich mochte er keine Musik außer Jazz, und der musste grimmig und schwarz sein.
    »Macht Severin sich nicht gut? Geben Sie zu, mein Sohn wäre ein schöner Kardinal!«
    Henry wandte sich um. Auch eine Art, sich vorzustellen, dachte er und betrachtete die alte Dame, die ihn angesprochen hatte. Ihr langes Kleid sah aus, als bestehe es bloß aus zufälligen Faltenwürfen eines blauen Stoffes. Es stand ihr ausgezeichnet, war aber offenbar weniger Verkleidung als persönlicher Stil der Trägerin. Ihr einziges Zugeständnis an das Maskierungsgebot bestand aus einer zerschlissenen rosa Federboa über dem Arm, deren Enden sich im Gras kringelten. Warum hatte sie diese grauenvolle Schlingpflanze nicht längst entsorgt? Henry meinte sich zu erinnern, dass Aldo Bellini die Mutter seines Freundes Severin mit den Worten »unsere schöne Alte« beschrieben hatte. Schön traf zweifellos zu, dachte er jetzt. Aber alt? Obwohl sie bestimmt weit über siebzig war, wirkte sie lebendig, schnell, präsent … Ihr weißes, dichtes Haar trug sie lang und offen, ihre Wangen markant, die Nase schön gebogen. Irgendwie erinnerte sie Henry an eine Squaw. Der Ausdruck ihrer tiefbraunen Augen gab ihr etwas Schelmisches, vielleicht auch Skeptisches. Zu den Schläfen hin fächerten sich kleine Lachfältchen auf. Als ob ihre Augen in Gänsefüßchen gesetzt wären, dachte Henry. Er mochte sie auf Anhieb.
    Aldo Bellini hatte ihm erzählt, dass sie früher einmal eine berühmte Tänzerin war: »Der großen Pina Bausch zufolge eine der inspirierendsten Tänzerinnen der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Doch leider ist es um ihren Verstand nicht mehr so gut bestellt. Manche mögen sie erfrischend finden, in meinen Augen aber lässt sie zusehends den Anstand vermissen. Doch vielleicht ist das auch bloß altersgemäße Verwirrung.«
    Und jetzt stand diese unanständig Verwirrte mit erhobenem Kelchglas vor Henry, um mit ihm anzustoßen. Im Widerspruch zu ihrer heiteren Miene klang ihre Stimme kehlig rau.
    »Sie sind also Henry Lauterbach! Frisch zugezogen, wie ich höre? Herzlich willkommen! Aber verraten Sie mir doch, was so ein weltgewandter Mann wie Sie in unserem braven Städtchen sucht. Verstecken Sie sich vor Ihren Gläubigern?«
    Henry beschloss, die Provokation zu überhören. Lächelnd hob er sein Glas und stieß mit ihr an. Sie nahmen einen Schluck. Aber ihr Blick über den Glasrand forderte unnachgiebig Antwort.
    Die blieb Henry nur erspart, weil Aldo Bellini vorbeieilte und rief: »Tja, Henry, das ist sie nun, die begnadete Tänzerin, von der ich Ihnen so vorgeschwärmt habe. Aber ihr müsst mich entschuldigen. Mein Lieblingssong!« Aldo entschwand mit hingebungsvollem Gesang: »Volare, hoho, cantare, hoho, il mare … dipinto di blù …« , wobei er sich gewagt in den Hüften wiegte. Es wirkte eher ungünstig.
    Ungerührt sagte die alte Dame: »Wer sich so bewegt, muss ja wohl etwas vom Tanzen verstehen. Also bin ich geneigt, sein Lob für bare Münze zu nehmen … Was nur beweist, wie zügig ich vergreise. Aber jetzt verraten Sie es mir endlich, Henry: Warum sind Sie ausgerechnet in dieses Kaff gezogen?«
    Diesmal waren es Fiona und Fabio, die beiden
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