Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
Vom Netzwerk:
aber das sei eine andere Geschichte. Als eine Art Fazit fügte Rosa hinzu: »Streng genommen dürfte also niemand behaupten, dass es in dieser Stadt keine Gerechten gebe. Es sind schon mindestens anderthalb. Und wenn Réa richtig in Fahrt kommt, zählt sie für zwei.« Die alte Dame kicherte. »Überhaupt geht es in unserem ehrwürdigen Pfarrhaus manchmal äußerst turbulent zu. Gegenwärtig will Réa ihn davon überzeugen, diesen kriegsversehrten Tutsijungen zu adoptieren. Sie brüllt den Stuck von den Decken, Pfarrherr Belzer knallt die Türen, dass es Gott erbarmt. Und zu alldem übt Maurice, mein geliebter Rocker, dröhnend seine Gitarrenriffs.«
    »Und Sie – als Friedensstifterin mittendrin?«
    »Ach was! Das nennt sich heutzutage Streitkultur. Aber jetzt sind Sie dran. Wie wäre es mit ein paar Informationen über Ihre werte Person? Sie könnten mir zum Beispiel erklären, wie es Ihnen gelungen ist, den hohen Vorstand rumzukriegen.«
    »Blödsinn! Das ist weniger als ein Gerücht!«
    Rosa hob mahnend den Zeigefinger. Sie hatte nämlich aus ungewöhnlich gut informierter Quelle erfahren, dass der Segelclub beabsichtige, »diesen Henry Lauterbach« als Ersatz für ein ausgeschiedenes Mitglied in den Vorstand zu kooptieren. »Beziehungsweise zu berufen«, hatte ihre Quelle präzisiert. Wenn der Stamm dieses Städtchens so etwas wie einen Ältestenrat hatte, dann war es der Vorstand des Segelclubs, sozusagen die Hautevolee des inneren Kreises. Wer dazugehörte, hatte den gesellschaftlichen Ritterschlag empfangen.
    Gegründet und jahrelang dominiert hatte den Segelclub der alte Bellini. Und nach Salvatores Tod war dann Aldo zunächst unangefochten an die Stelle seines Vaters getreten. Als er vor zwei Jahren an der Spitze abgelöst wurde, empfand der Junior das als ehrenrührige Degradierung. Und sie, vertraute Rosa Henry an, habe daraus geschlossen, dass ihm die Dinge aus dem Ruder liefen …
    Rosa lächelte und brachte ihre Gänsefüßchen zur Wirkung: »Es ist ein Gerücht aus erster Hand. Leugnen ist zwecklos. Ist Ihnen eigentlich klar, was für eine große Ehre diese Wahl für Sie ist?«
    »Aber ich bin doch erst seit zwei Monaten hier und will keinesfalls irgendjemandem den Rang ablaufen. Außerdem ist es mit meinen Segelkünsten gar nicht so weit her. Ich segle immer noch am liebsten mit dem Wind.«
    Henrys Antwort reizte die Alte zu einem geistreichen spöttischen Exkurs über Edelmut und die Windrichtungen auf dem See. Zu wissen, woher der Wind wehe, sei immer nützlich und zweifellos habe Henry die Nase dafür. »Eine gewisse Windschnittigkeit kann nicht nur beim Segeln ganz nützlich sein, sondern auch in höheren Gremien. Aber davon mal abgesehen: Sportliches Können ist hier kein Kriterium für die Vorstandstauglichkeit. Severin zum Beispiel ist ein erstklassiger Segler und gehört dem Vorstand trotzdem nicht an. Was er selbst übrigens am meisten bedauert …« Rosa unterbrach sich, weil zunehmend Gäste in Hörweite gerückt waren, und zog Henry zu ein paar Korbsesseln, die in lockerer Runde unter einer Trauerweide standen. Dabei wäre sie beinahe über die Statue eines Jünglings gestolpert, der seine Nacktheit diskret hinter tief hängenden Zweigen verbarg. Schlagfertig spottete sie, dieser Nackte wisse noch, was sich gehöre – und Henry gab sich im Stillen den Rat, diese geistesgegenwärtige Mama Rosa nie zu unterschätzen.
    Kaum hatten sie es sich gemütlich gemacht, schob sich ein Gesandter aus Fantasia durchs Gebüsch, jedenfalls eine Gestalt in bunt schillerndem Kostüm. Es war der Rektor der Universität, »als Forscher weithin gerühmt«, wie Rosa Henry zuflüsterte, bevor jener das Wort ergriff. Er wolle nicht stören, nur kurz sagen, dass er Herrn Lauterbach gern … aber das habe Zeit, er sei später an der Bar anzutreffen. Und damit war er auch schon wieder fort.
    »Ein bekannter Wissenschaftler, wirklich?«, wollte Henry wissen.
    »An seiner Uni bestimmt. Er ist Chemiker. Stand lange in den Diensten des alten Bellini. Der hat ihm einen Gutteil seiner Forschungen finanziert. Und die Erlöse aus den Patenten haben sie dann brüderlich geteilt. Er gehört auch zu denen, die durch Salvatore Bellini vermögend wurden.«
    »Selbst wenn nur die Hälfte von all dem stimmt, was mir bisher schon über diesen Salvatore zugetragen wurde, muss der alte Bellini eine überragende Persönlichkeit gewesen sein. Schade nur, dass er nicht mehr …«
    »Ja, er hätte Sie bestimmt auch beeindruckt. Der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher