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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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Bellini-Kinder, die Henry die Antwort ersparten. Fiona hüpfte auf und ab, und ihre schwarzen Locken schienen Trampolin zu springen. Sie mochte vielleicht zehn sein, ein rundliches, hübsches Kind, allem Anschein nach als Schneewittchen verkleidet. Ihr etwas älterer Bruder Fabio, ebenfalls schwarzhaarig, war als Pirat gekommen. Er blickte grimmig drein, aber seine Mimik hatte wohl immer etwas Düsteres. Mit einem Krummsäbel stieß er Löcher in die Luft und schrie dabei, Henry sei entführt und müsse sich sofort ergeben und wieder mit ihnen spielen.
    »Fort mit euch. Der bleibt hier«, griff die Alte ein. Und weil die beiden nicht aufhörten, an Henry herumzuzerren, setzte sie nach: »Schluss jetzt. Sucht euch einen anderen Kindskopf!«
    Das wirkte und Henry staunte. Etwas rabiat mochte die Frau sein, wirr jedoch auf gar keinen Fall. Im Gegenteil, ihre schnelle Zunge verriet einen ausgesprochen klaren Verstand. Eine solche Verbündete zu haben könnte nicht schaden, ging ihm durch den Kopf.
    Mit den Worten »Ab hinter die sieben Berge und die sieben Meere« quittierte die Alte den Abgang der Bellini-Kinder. »Im Übrigen, geschätzter Herr Lauterbach, falls Ihnen mein Name noch nicht zugetragen wurde: Schauen Sie mich genau an. Die Stola habe ich quasi als Eselsbrücke mitgebracht.«
    Rosa! Henry lachte. »Rosa Belzer, nicht wahr? Aber das Blau Ihres Kleides steht Ihnen besser.«
    »Das soll wohl ein Kompliment sein? Aber wie dem auch sei: Sobald etwas Langsames gespielt wird, werde ich Sie zum Tanz auffordern. Ihre Frau hat bestimmt nichts dagegen, wenn Sie mit einer Seniorin tanzen. Ich habe sie übrigens schon kurz kennengelernt, drüben, in der Traumfabrik.« Die Alte wies zum Pool, an dessen Rand nicht weniger als fünf Hollywoodschaukeln aufgereiht waren. »Ein ganz schöner Missgriff, nicht wahr?« Rosas Gänsefüßchen kamen voll zur Wirkung … »Sehen Sie, Ihre Frau scheint sich bestens zu amüsieren. Carla Bellini kann ja sehr unterhaltsam sein. Sind Sie ihr schon vorgestellt worden? Eine attraktive Person, nicht wahr?«
    Als Henry am frühen Abend den festlich geschmückten Park betreten hatte, war Carla Bellini gerade mit der Begrüßung anderer Gäste beschäftigt. Also hatte er sie zunächst von Weitem betrachtet: groß, schlank, gepflegt, schätzungsweise fünfunddreißig. Die kastanienbraune Haarfülle um ihr strahlendes Gesicht war in ständiger Bewegung. Als sie ihn dann entdeckt hatte, kam sie schnell auf ihn zu. »Da ist er ja, unser viel gepriesener neuer Freund.« Von Nahem wirkt sie doch älter, dachte Henry. Vielleicht hat sie sogar die Vierzig schon hinter sich. Sie strahlte alle Welt an, aber es schien sie Anstrengung zu kosten. Herzliche Augen, aber müde. Aus ihrem schönen Mund kamen die charmanten Worte: »Aldo und ich freuen uns sehr, Sie in unserem Kreis begrüßen zu dürfen. Übrigens: Ich bin Carla.« Sie strahlte ihn an und wandte sich neuen Gästen zu. Und Henry hatte unwillkürlich an eine Filmszene denken müssen, die er kürzlich auf ARTE gesehen hatte: Perfekt manikürte Finger einer Kosmetikerin schälten die blau geronnene Haut einer Schönheitsmaske vom Gesicht einer Kundin. Es enthüllte sich ein schönes Gesicht, nur hatte die Maske auch gleich ein Auge mitgenommen …
    Henry hatte sich gleich danach auf ein übermütiges Spiel mit den Bellini-Kindern eingelassen. Es hatte sich eben so ergeben. Carlas dankbarer Blick war ihm nicht entgangen.
    Henry wollte schnellstens so viel wie möglich über die Stadt und ihre Gesellschaft erfahren. So verlangte es das Experiment. Bei Mama Rosa war er da zweifellos an der richtigen Adresse. Sie schien Gott und die Welt zu kennen. Hatte den Blick dafür und genügend Durchblick bestimmt auch. Wer zum Beispiel war der Schlaks da in der Badehose, der am Rand des Swimmingpools kauerte und mit dem Zeigefinger seine Fußzehen betupfte, als ob er sich ihrer Vollzähligkeit vergewissern wollte? Und was war dran an dem Gerücht, dass Rosas Sohn, Pfarrer Severin Belzer, demnächst einen Lehrstuhl für Theologie bekommen würde?
    Es bedurfte nur weniger Fragen, um Mama Rosa zum Plaudern zu bewegen. Sie wusste tatsächlich so gut wie alles über das Städtchen und seine Bewohner und gab ihr Wissen gern und mit Schalk preis. Binnen einer halben Stunde erfuhr Henry mehr als in den zwei Monaten, die er nun schon in der Stadt lebte.
    Aldo Bellinis Textil-Geschäfte liefen seit einiger Zeit mehr schlecht als recht. »Er kämpft tapfer. Aber
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