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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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einfiel, kamen Henry die grandi feste des Patriarchen vor Augen: Ein Gewoge aus zweihundert schillernden Kostümen, herausragend aber, als tanze er auf einem Podest, der massige Bellini. Sein Wanst schwingt herum. Er lacht schallend. Aufreizend der Busen seiner Blondine im tief ausgeschnittenen Kleid. Aber warum bloß schaut sie so verkniffen drein? Henry schreckte auf. Mit angespanntem Gesicht stand Réa, die Katzenfrau, vor ihm. Ob er mit ihr tanzen wolle?
    »Er darf nicht«, stellte Rosa unmissverständlich klar, »ich habe ihn mir bereits für den Seniorentanz reserviert. Wollen wir, Henry?« Rosa übergab ihm ihr Glas, um sogleich die Tanzfläche anzusteuern. Henry schaute verdutzt drein. Ähnlich verdutzt guckte Réa. Und sie fand, Henry halte die beiden Kelche etwas sehr unbeholfen. Doch blitzte in diesem Moment ein winziges schelmisches Lachen in Henrys Augen. Réa war sich sicher, darin einen Funken Unverschämtheit zu erkennen. Im Übrigen waren seine Hände gepflegt …
    »Natürlich muss ich Rosa gehorchen. Ich bin ihrem Charme längst rettungslos verfallen«, murmelte er, während er die Gläser irgendwo auf dem Boden abstellte, »und muss mich ihr fügen.« Henry war schon auf dem Weg zur Tanzfläche, als er sich kurz umblickte und Réa zurief: »Ich hab schon viel von Ihrer Kunst gehört, aber noch gar nichts gesehen. Das würd ich gern bald nachholen.«
    Réa sah ihm hinterdrein. Bemerkte, dass er ihr kurz zuwinkte, bevor ihn Mama Rosa einfing.
    Natürlich war Rosa eine souveräne Partnerin, die auch einem schlechten Tänzer Beine gemacht hätte. Aber das war es nicht. Henry tanzte die Salsa ganz ausgezeichnet. Nach kurzer Zeit standen die beiden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die anderen Paare räumten ihnen respektvoll Platz ein. Die Sängerin klatschte ihnen sogar zu. Es war einfach ein Genuss. Und ebendieser Tänzer hatte ihr, Réa, gerade vielsagend zugeblinzelt … Wo war eigentlich seine Barbara? Ach, dort tanzte sie ja – mit Aldo Bellini. Sie fiel auf, weil sie sich so zurückhaltend gab. Natürlich und sympathisch. Sie war kaum geschminkt. Hatte halblanges dunkelblondes Haar, praktisch geschnitten. Ihr schlichtes schwarzes Kleid hätte besser zum Auftritt einer Cellistin bei einem Kurkonzert gepasst als zu einem Maskenball. Statt eines Kostüms hatte sie sich bloß lange Ketten aus bunten Glasperlen um den Hals gelegt.
    Réa schaute sich um. Die Sans Papiers waren dabei, den geplünderten Büfetttisch wieder aufzufüllen. Für die Flüchtlinge war das Fest hier eine große Sache. Der Catering-Auftrag hatte ihren ganzen Stolz herausgekitzelt. Als sie im Pfarrhaus das Menü geplant und Listen geschrieben hatten, war einer der Sans Papiers geradezu ins Schwärmen geraten: »Vous voyez, tout le monde va être ravi, toute la hautevolée de la ville!«
    Hautevolée! Die anderen waren kaum aus dem Lachen herausgekommen. Zugegeben, es war ein lautes chaotisches Treffen gewesen. Was Severin ihr im Anschluss auch deutlich zu verstehen gegeben hatte. Missmutig hatte er sie gefragt, was am Erstellen einer Essensliste denn eigentlich so lustig sei. Er war im Grunde deshalb so gereizt, weil er sich nicht traute, sein Unbehagen, das ihm ihr soziales Engagement einflößte, offen auszusprechen. Vor Wochen hatte Réa ihn gefragt, wie er zum Kirchenasyl stehe. Sie plante nämlich zusammen mit den Flüchtlingen eine Aktionswoche mit Theater, Benefizkonzerten und Diskussionsforen. Es müsse in die Medien, wie demütigend der Alltag der Illegalen sei. Severin wäre ihr fast an die Gurgel gesprungen! Aus seiner empörten Antwort, einem widersprüchlichen Wortschwall über Legalität, Naivität und Kriminalität, konnte sie eigentlich nur eines schließen: Severin hatte Angst. Aber wovor? Und nun stand er dort, der als Kardinal verkleidete Münster-Pfarrer, zupfte an seinen Augenbrauen und beobachtete. Jetzt wischte er sich über den Nasenrücken. Réa ließ ihren Blick weiterwandern, bis er auf Carla Bellini stieß. Die allein in einer der Hollywoodschaukeln saß. Réa steuerte auf sie zu.
    »Findest du nicht auch: Der Capitano ist fast zu gut, um wahr zu sein«, sagte Carla lachend, als Réa näher kam. Natürlich war Henry gemeint, der im traditionellen Gewand des Capitano immer noch mit Rosa tanzte. »Meine Kinder sind ganz verrückt nach ihm. Er hat ein Herz für junge Menschen, geradezu unglaublich!«
    »Und tanzen kann er auch. Ich darf doch?« Ohne Carlas Antwort abzuwarten, nahm Réa neben ihr
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