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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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nichts an. Liliths Gesicht! Ihre Augen waren skeptisch oder misstrauisch oder prüfend, jedenfalls grün. War es nicht ein fast fanatisches Grün? Ein undurchdringliches Grün, das alle Blicke abzuwehren vermochte? Eigentlich verstand er nicht, dass sie ihn so befangen machte …
    Schon brach die Festgesellschaft ausgelassen zwischen den Stämmen hervor und verwandelte das Ufer im Nu zum Festplatz. Weitere Fackeln wurden entzündet. Durch die Lichtschleier, die der Mond aufs Wasser warf, glitten Schatten kleiner Wolken. Zauberhaft schön war die Stimmung, aber chaotisch. Aldo und Carla Bellini versuchten vergeblich, die Gäste zu den Klappstühlen zu lotsen. Erst als Henry, der auf einen Stuhl gestiegen war, zur Verblüffung aller seine Fackel hoch in die Luft schleuderte und sie kunstvoll wieder auffing, entstand Ruhe. »Oh!«, rief jemand. Henry deutete nur auf Aldo.
    »Liebe Freunde, bitte begebt euch … wir haben die Stühle …«, sagte der und kam nicht weiter. Der Feuermeister, der das Spektakel vorbereitet hatte, sprang ihm mit klaren Anweisungen bei. Man kenne sich ja und wie jedes Jahr hoffe er, dass alles klappe. Am Schluss sei noch ein besonderes bouquet zu erwarten, gestiftet von einem Gast, der aber lieber anonym bleiben wolle. Dennoch schlage er vor …, sagte er und begann zu klatschen, rief Bravissimo und alle fielen ein.
    Es war wie jedes Jahr. Von der Plattform zischten erste Raketen empor, spuckten Leuchtkugeln aus, die unscheinbar durch den Himmel torkelten, dann aber jäh zu riesigen Funkenschleiern explodierten. Sofort stießen neue Raketen nach, manche heimlich, andere sichtbar sprühend und schlängelnd, als wollten sie nie aufhören zu steigen. Magisches Gewitter knisterte durch die Nacht. Es wurde taghell, dann wieder dunkel, scheinbar noch dunkler, als es gewesen war, besiegelt durch einen dunklen Knall, der weit draußen verhallte. Schon breitete sich neue Farbenpracht aus. So riesenhaft quoll sie auf, dass die Nacht ein für alle Mal vertrieben schien – und löste sich doch wieder auf, ein pulsierender Spuk bloß, ein Spiel um nichts. Es war schön wie jedes Jahr und plötzlich vorbei. In der andächtigen Stille war eine flüsternde Stimme zu vernehmen: »Hey! War das jetzt schon das ominöse Geschenk?«
    Als Antwort kam eine dumpfe Detonation. Von der Plattform schoss ein Geschwader leuchtender Kugeln empor. Im Verbund stiegen sie an, wurden langsamer und stiegen doch weiter. Zuoberst verharrten sie in der Schwebe, als habe sie der Mut verlassen. Es krachte. In alle Richtungen stoben glühende Schlangen, die sich langsam auflösten. Sekundenlang blieb es still und dunkel. Ein Jaulen, dann explodierte die Nacht an hundert Stellen gleichzeitig. Und am Himmel reckte sich, reckte sich unter grässlichem Knistern – ein Drache! Ein flirrendes Untier mit riesenhaften Tatzen und aufgebäumtem Schwanz. Gigantisch der Schädel. Aus dem aufgerissenen Maul sprühten Funken, noch ein Schwall und noch einer. Dann war das Ungeheuer weg. Nur hinter den Augen der Zuschauer hielt es sich noch einige Sekunden, bis auch der Nachbrand verglommen war.
    Dass alle gebührend beeindruckt waren, verriet die ehrfürchtige Stille, die sich hinzog, bis der Beifall losbrach. Jemand lachte hysterisch. Noch nie habe er so etwas Wahnsinniges gesehen, schrie der Bürgermeister, worauf Rosa ihm zurief, er sei doch schon so lange in der Politik.
    Maurice stand hinter den Stuhlreihen und spähte zum Steg. Dort hatten die Lichtblitze einige Male Lilith erhellt. Doch jetzt stand seine Mutter an ihrem Platz und redete gestikulierend auf Henry ein. Wahrscheinlich überschüttete sie ihn mit Lobeshymnen auf sein himmlisches Finale. Doch halt! Réa konnte ja gar nicht wissen, dass Henry der Drachenspender war. Vermutlich wusste es außer ihm überhaupt niemand.
    Doch darauf kam Maurice erst, als er wieder am Pool war. Einige nahmen jetzt ein Bad, darunter der Bürgermeister, der johlend alle in seiner Nähe nass spritzte. Die schwarzen Frauen räumten das Büfett ab. Lilith konnte er nirgends entdecken. Vielleicht war es jetzt an der Zeit aufzubrechen. Ob er sich noch ein, zwei Flaschen Champagner für den Bandkeller ausleihen sollte? Es wäre ein Leichtes …
    Plötzlich stand hinter ihm Rosa: »Komm, fahr mich nach Hause, bitte. Mir ist nicht ganz koscher. Dabei habe ich kaum etwas getrunken.«
    Maurice ging, ohne zu zögern, auf ihre Bitte ein. Schweigend fuhren sie los. Einmal legte ihm Rosa die Hand auf die
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