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Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
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Schulter:
    »Rote Jacke, ja?«
    »Ach, na ja …«
    Rosa lachte: »Zweifel an meiner Hellsichtigkeit, Junge?«
    Maurice seufzte und dachte an Lilith und daran, dass er eigentlich nur ihretwegen den Champagner nicht hatte mitgehen lassen.
    »Entschuldige«, sagte Rosa. »Doch diese Lauterbachs sind nicht ohne. Was für eine Einführung! Was für ein Auftritt!«
    »Aber doch nicht Lilith.«
    »Henry meine ich. Ein Drache! Ausgerechnet!«
    Maurice blickte sie nahezu entsetzt an: »Das weiß aber doch niemand!«
    Als Rosa schwieg, setzte er nach: »Von wem hast du das?«
    »Junge! Von niemandem. Mit Wissen hat das nichts zu tun. Aber ich habe mit diesem Henry getanzt … Solche Tänze, weißt du, solche, die ich sonst meide.« Und sie brach in ein Lachen aus, das Maurice so irritierte, dass er keine weitere Frage mehr stellte.

2
Capitano
    Aus Henrys Aufzeichnungen
     
     
    A m Anfang war die Wut. Daran erinnere ich mich noch. Ansonsten ist mir nicht mehr bewusst, was den Anstoß gegeben hat, endlich zu handeln und mein Schicksal ein für alle Mal in die eigenen Hände zu nehmen.
    Henry lautet mein kurzzeitig ausgeliehener Name. Der Name selbst bedeutet nichts, die Tatsache, dass ich ihn mir nur ausgeborgt habe, dagegen schon. Sie steht für einen Neuanfang, der gleichzeitig glorioser Schlusspunkt sein wird. Ich lasse eine Vergangenheit hinter mir, in der ich nie ich selbst sein durfte.
    Im Grunde war ich immer nur ein Trugbild der anderen. Als Existenz ist das erbärmlich, die reine Knechtschaft. Man ist zwar kein Nichts, aber trotzdem niemand. Sein oder nicht sein , rief jener dänische Prinz. Ich weiß, er war dabei verzweifelt, aber mir kommt sein Dilemma wie ein Paradies der Wahlmöglichkeiten vor. Ich hatte nicht mal eine einzige. Sei so, wie wir dich wollen , für mich war nur das im Angebot. Psychologisch gesehen müsste ich voller Aggressionen sein, obwohl: was weiß ich schon von Psychologie – aber dieses eine Mal haben die Psychologen zweifellos recht. Zweitausend Jahre Missbrauch sind mehr als genug.
    Barbara, meine wunderbare Frau, weiß wenig von meiner inneren Zerrissenheit und noch weniger von meiner Geschichte. Was hätte ich ihr auch erzählen sollen? Wie begehrenswert ist wohl ein Mann, der seiner Umworbenen darlegt, dass er keine vorzeigbare Vergangenheit hat? Klare Antwort: Völlig chancenlos ist er.
    Drei lange zähe Jahre widmete ich meinen Vorbereitungen, bevor ich in die Stadt kam. Ich las und reiste viel. Begriff, dass mein bisheriges »Dasein« nicht einmal diese Bezeichnung verdiente. Wie aber bricht man aus einem Leben aus, das einem bloß suggeriert wurde, bitte schön? Entsteigen Sie mal dem Wasser, wenn keines vorhanden ist!
    Ich beschloss, mir eine glaubwürdige, brauchbare Biografie zuzulegen. Wurde ein Kanadier aus Toronto. Taufname Heinrich, Rufname Henry. Einziges Kind deutschstämmiger Auswanderer. Erst vor Kurzem nach Europa zurückgekehrt. Diesem Einfall verdanke ich meinen hin und wieder anklingenden englischen Akzent. Ich behielt ihn bei, als ich merkte, wie gut er ankam. Manche Frauen signalisieren mir sogar, er wirke erotisch. Gestern, auf dem Maskenfest der Bellinis, sagte meine Tanzpartnerin Rosa Belzer, dieser Akzent sei wohl meine Geheimwaffe. »Henrrrhy«, sagte sie, »Ihr englisches Gurrren ist betöhrrrend. Aber Gott sei Dank höre ich nicht mehr so gut.«
    Sie stapelt tief. Wenn sie nur annähernd so gut hört, wie sie tanzt, dann hört sie sogar das Gras wachsen … Wir haben lange miteinander getanzt und es war ein irritierendes Erlebnis für mich, aber das nur nebenbei.
    Vor dem Fest befiel mich Lampenfieber. Meine Frau Barbara, leidenschaftliche Tennisspielerin, hatte nämlich in Erfahrung gebracht, dieses Kostümfest sei eine der Master Partys im gesellschaftlichen Grand Slam der Stadt. Das setzte mich unter Druck. Ich wollte gut ankommen, ich musste gut ankommen; nur deshalb ja hatte ich neu begonnen, nur deshalb war ich hier in dieser Stadt – Merlingen am Bodensee.
    Dem Ruf, den das Kostümfest der Bellinis genießt, wurde es nicht gerecht. Es waren nur knapp fünfzig Gäste gekommen; darunter aber immerhin der siebenköpfige Vorstand des Segelclubs. Es sei dieser nämlich die offiziöse Regierung der Stadt, klärte mich Rosa Belzer beim Tanzen auf. Hier würde mehr über Posten und Finanzspritzen entschieden als im Rathaus. »Die sieben kreuzen nicht nur draußen auf dem See, sondern auch überall dort auf, wo Kultur stattfindet«, spottete Rosa. Alle
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