Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Drache am Himmel

Der Drache am Himmel

Titel: Der Drache am Himmel
Autoren: Andreas Sommer
Vom Netzwerk:
Mann war wahnsinnig. Wahnsinnig skrupellos, aber auch wahnsinnig sympathisch. Ein Teufelskerl, der jeden für sich einnahm. Allein schon der Name – Salvatore Bellini! Der zergeht einem doch auf der Zunge. Dabei ist er schon in jungen Jahren aus dem Leim gegangen. Und im Alter war er dann richtig fett. Aber mit seinem Charme konnte er selbst das wettmachen.«
    Rosa schien jetzt ganz in ihrem Element. Beinahe atemlos begann sie, Salvatores Biografie vor Henry auszubreiten. Er war Sizilianer. Stammte aus einer bitterarmen Familie. Machte eine Schneiderlehre. Bekam mit neunzehn eine Stelle als Zuschneider in einer kleinen Kleiderfabrik in Venedig. Fünf Jahre später war er der Chef.
    »Großartig!«, warf Henry ein.
    »Finden Sie? Man munkelt, dass Freunde aus seiner Geburtsstadt in nicht unerheblichem Maße zu seinem Aufstieg beigetragen haben.« Rosas Mimik enthielt sich jeder Wertung.
    Salvatore Bellini schuftete. Vergrößerte die Fabrik. Mehrte sein Vermögen. Irgendwann heiratete er die Tochter eines Conte und zeugte mit ihr vier Töchter. Er begann, eigene Kollektionen zu entwerfen. Kaufte sich in Firmen ein, die Textilmaschinen herstellten. So kam er erstmals nach Deutschland und in die Schweiz und beschloss bald darauf, Italien ganz den Rücken zu kehren. Vielleicht, weil seine Ehe gescheitert war. Seine Töchter blieben in der Heimat.
    Warum sich Salvatore Bellini ausgerechnet für dieses Städtchen entschied, wusste keiner so genau. Jedenfalls kaufte er sich diese Villa hier nebst Park und Swimmingpool, direkt am See. Als er kam, war er bereits ein vermögender Mann. »Aber so richtig reich wurde er erst in den Jahren darauf«, sagte Rosa und fügte gespielt kurzatmig hinzu: »Gleichzeitig legte er ordentlich an Gewicht zu.«
    Der Erfolg blieb ihm treu. Er heiratete ein zweites Mal. Sein Sohn Aldo kam auf die Welt. Auch sein Imperium hatte mittlerweile einen Namen bekommen: Création Bellini. Seine zweite Frau kam bei einem Autounfall im Gotthardtunnel ums Leben, als Aldo gerade seinen siebzehnten Geburtstag gefeiert hatte. Man sagte damals, Salvatore sei rasch über ihren Tod hinweggekommen. Aber vielleicht wollte er auch nur seinem Ruf gerecht werden. Er galt ja als in jeder Hinsicht schnell, zudem als maßlos, überaus großzügig … und laut. »Er lachte, als ob er das Donnern persönlich erfunden hätte.« Als er vor neun Jahren starb, gab es Bellini-Boutiquen von London bis Miami, von Tokio bis München. In einem halben Dutzend eigener Fabriken produzierte er seine Textilien. Und noch wenige Tage vor seinem Tod hatte er in Rom ein eigenes Textilmuseum eröffnet.
    »Aber ein Patriarch verschwindet nicht so einfach, selbst wenn er schon im hölzernen Pyjama steckt. Spätestens bei der Testamentseröffnung wurde das klar. Mir hat er übrigens auch etwas hinterlassen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Für Aldo jedenfalls war der Letzte Wille seines Vaters die reine Katastrophe.« Rosa räusperte sich und schwieg.
    »Sie haben Salvatore also näher gekannt?«
    »Ach, vergessen Sie es. Ich bin heute offenbar mal wieder besonders redselig.« Nachdenklich wickelte sich Rosa ihre Federboa um die Hand, bis sie in einem rosafarbenen Muff verschwunden war.
    »Damals trat ich hier immer in herrlich kitschigem Rosa auf. Ausnahmslos alle – und wohlgemerkt, ich spreche von zweihundert und mehr Gästen – erschienen wir in aufwendigen venezianischen Kostümen. Im Herbst zwar, weil Salvatore darauf bestand, das Fest im Schwimmbad enden zu lassen, und das macht sich zur Fasnachtszeit natürlich nicht so gut, aber es war eine Tartüfferei vom Feinsten! Salvatore wusste einfach, wie man Stimmung erzeugt. Er hatte auch die reizende Idee, jedes Mal die aufreizendsten seiner Mitarbeiterinnen einzuladen. Und natürlich mussten wir uns beim Essen nicht selbst bedienen, sondern wurden von einem damals sehr berühmten Maestro mit Köstlichkeiten verwöhnt.«
    Als die Band jetzt zu einer Salsa ansetzte, kam überraschend Bewegung in die Menge. Plötzlich stürmten viele die Tanzfläche. »Kommen Sie«, sagte Rosa, »wir schauen uns das mal aus der Nähe an.«
    Endlich entstand etwas venezianische Atmosphäre. Bei jedem Schwung verströmten die Kostüme nun Glanz und Glimmer. Eine kleine Metamorphose hatte stattgefunden. Magische Gestalten anstelle von Gästen, Farbenpracht statt blassen Geredes. Und im spiegelnden Wasser des Pools imitierten tanzende Farbgeister das Spiel im Park. Wie nun die Sängerin stimmmächtig
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher