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Der Dominoeffekt

Der Dominoeffekt

Titel: Der Dominoeffekt
Autoren: Theo Pointner
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    »Mist!«
    Jörn Kaludzinsky legte den Nassrasierer auf die Ablagefläche für die Seife, presste seinen Zeigefinger auf die heftig blutende Wunde am Kinn und griff hinter sich. Seine rechte Hand tastete nach dem Toilettenpapier, endlich fühlte er die Rolle zwischen den Fingern. Mit einem Ruck riss er ein Blatt ab, faltete es zusammen und drückte es auf die Kerbe einige Zentimeter unterhalb seiner Unterlippe.
    Während er darauf wartete, dass die Blutung nachließ, schöpfte er eine Hand voll Wasser aus dem Waschbecken und wischte die Blutstropfen von der Keramik. Astrid würde einen Wutausbruch bekommen, wenn er die Spuren seiner Auseinandersetzung mit dem Rasierer nicht restlos beseitigte. Vorsichtig lupfte Kaludzinsky das Toilettenpapier an und besah sich in der Tür des Spiegelschranks. Nein, immer noch quollen rote Tropfen aus der Schnittwunde, er musste sich noch gedulden.
    Aus dem Transistorradio plärrte der Nachrichtenjingle, die monotone Stimme der Sprecherin kündigte das Neueste aus der Welt an. Es war Punkt 18.00 Uhr, Kaludzinsky hatte noch genügend Zeit. Sein Dienst begann erst in anderthalb Stunden.
    Er verfolgte die Informationssendung nicht, er hatte schon eine Stunde vorher die Tagesschau gesehen und wusste, was die wichtigsten Themen des Tages waren. Ihn beschäftigte viel mehr, dass er nur noch zwei Nachtschichten hinter sich bringen musste, danach hatte er vier Tage frei. Dann noch fünf Frühschichten und anschließend endlich drei Wochen Urlaub.
    Kaludzinsky rückte die mickrige Topfpflanze auf der marmorierten Fensterbank ein wenig zur Seite und öffnete das Fenster. Die feuchtwarmen Dämpfe aus der Dusche zogen nicht ab, sondern ein Schwall heißer Luft drang von draußen in das kleine Badezimmer. Bei diesen Temperaturen konnte er froh sein, nachts arbeiten zu müssen, die Wagen hatten immer noch keine Klimaanlage. Die Blutung war endlich gestillt, er warf den rot gefärbten Papierfetzen in das Toilettenbecken und setzte seine Rasur fort.
    Das teure Duftwasser von Calvin Klein war für den Sommer genau richtig. Kaludzinsky ging äußerst sparsam mit dem Wässerchen um, Astrid hatte es ihm im Februar zu seinem vierunddreißigsten Geburtstag geschenkt. Immer noch war die Flasche gut zu einem Drittel voll.
    Nachdem der Brand auf der Gesichtshaut nachgelassen hatte, schlüpfte er in die zuvor bereitgelegten Boxershorts und die dünnen Socken, sprühte sich eine gehörige Ladung Deospray unter die Achseln und fuhr prüfend mit der Hand über seinen Schädel. Seine Glatze bedurfte noch keiner Korrektur, zwar spürte er schon deutlich einige Haarstoppeln, aber bis morgen konnte das noch warten.
    Er trat zwei Schritte zurück, holte tief Luft, pumpte den Oberkörper auf und musterte sich erneut im Spiegel. Perfekt, die Brustmuskulatur malte sich deutlich ab, noch machte es sich nicht bemerkbar, dass er in den letzten Tagen sein Training ein wenig vernachlässigt hatte.
    Spielerisch spannte er die Oberarmmuskeln an, die Adern auf dem Bizeps quollen auf. Kaludzinsky genoss die Blicke der Frauen, wenn er auf seinen Kontrollgängen sein breites Kreuz durchdrückte und seine Muskeln zeigte. Die Firmenkleidung war zwar aus ziemlich grobem Stoff und scheuerte nach ein paar Stunden unter den Achseln, aber vom äußeren Anschein her machte sie sich wirklich gut.
    Der Kölner Sender hatte zwischenzeitlich die Verkehrshinweise gebracht. Kaludzinsky flötete den folgenden Song von Bruce Springsteen mit, zog die schwarze Leinenhose über die Hüften und streifte sich das hellblaue Hemd mit dem Schriftzug seines Arbeitgebers über den Oberkörper.
    Als er die Tür des Badezimmers öffnete, brauchten seine Augen einen Moment, um sich an das Dunkel in der Diele zu gewöhnen. Astrid hatte die Küchentür geschlossen, damit der Geruch des gebratenen Specks nicht durch die ganze Wohnung zog. Halb blind stolperte er durch den Flur, bis er auf unerwarteten Widerstand stieß.
    »Aua!«, schrie Kaludzinsky, hob den rechten Fuß, stützte sich an der Wand ab und tastete nach dem Lichtschalter. »Kevin!«
    Sekundenbruchteile später flog die Tür zum Kinderzimmer auf und ein achtjähriger Bengel lugte vorsichtig um die Ecke.
    »Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du deinen Krempel wegräumen sollst«, schimpfte Kaludzinsky wütend.
    »Mach ich sofort«, hauchte der Junge, der gerade mal halb so groß war wie Kaludzinsky. »Entschuldige.«
    »Ist doch immer dasselbe mit dir«, fauchte Kaludzinsky und rieb
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