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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod
Autoren: Meša Selimović
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war weiter?"
    „Hat das deine Mutter nicht
erzählt?"
    „Sie sagt, du warst traurig."
    Ja, ich war traurig, und sie wußte
das. Sie wußte es auch die ganze Zeit, da sie mich nicht sah. Sie hatten dort
gehört, ich sei gefallen, und ich fühlte mich auch so, als kehrte ich von den
Toten zurück, oder noch schlimmer: als erwartete mich der Tod – vor wüster
Leere, vor einer drückenden, dumpfen Stille, vor Jammer, vor Finsternis, vor
Angst, weil ich nicht wußte, was da geschehen war, irgendwo war ich gewesen,
blitzende Sonne und roter Widerschein taten mir weh, denn sie flammten aus dem
Dunkel, wie bei einer Krankheit, etwas war dort, wo ich herkam,
zusammengestürzt, auch hier, an meinem Ziel, wo ich hingehörte, es rieselte
hinab wie der Ufersand, wenn das Wasser steigt, und ich wußte nicht, wie und
warum ich mich aus der Flut gerettet hatte.
    Meine Mutter löschte mir Kohlen und
goß, um den Schrecken zu vertreiben, über meinem Kopf flüssiges Blei in ein
Gefäß mit Wasser, denn ich schwieg, wenn ich wachte, und schrie im Schlaf. Sie
schrieben für mich Amulette, damit mir kein böser Zauber drohte, führten mich
in die Moschee und sprachen Bittgebete, verlangten Arznei von Gott und den Menschen,
am meisten darüber erschrocken, daß ich auf alles einging und daß mir alles
gleich war.
    „Hat deine Mutter noch etwas
gesagt?"
    „Ja. Daß ihr so etwas wie
Liebesleute wart. Mein Vater lacht immer, wenn wir davon sprechen. Ihr könnt
beide froh und glücklich sein, sagt er. Er, mein Vater, weil es hieß, du seist
gefallen, und du, weil du nicht gefallen bist. Denn hätte meine Mutter nichts
von deinem Tod gehört, so hätte sie ihn nicht geheiratet. So lebt ihr alle und
alle drei seid ihr glücklich."
    Er weiß viel, aber er weiß nicht
alles. Sie hatte auch noch gewartet, als man davon sprach, ich sei gefallen,
und sie hätte weiter gewartet, Gott weiß wie lange. Nicht sie hat sich
verheiratet, die Eltern haben sie verheiratet. Ein paar Tage vor meiner
Rückkehr. Hätte ich weniger geschlafen, wäre ich auch nachts gewandert,
wäre die Erschöpfung nicht so groß, wären die Ebenen kleiner und die
Berge, die überstiegen werden mußten, niedriger gewesen, so wäre ich
rechtzeitig gekommen, sie hätte nicht Emin geheiratet, und ich wäre vielleicht
nicht aus dem Dorfe fortgegangen.
    Und nichts von dem wäre geschehen,
was mich jetzt schmerzt, weder Haruns Tod noch diese Nacht, die
letzte. Doch vielleicht wäre es auch geschehen, denn eine Nacht muß die
letzte sein, und etwas muß da sein, was uns schmerzt, immer.
    Er will mehr wissen.
    „War dir schwer zumute, als du
hörtest, daß meine Mutter einen andern geheiratet hat?"
    „Ja, es war mir schwer zumute."
    „Und darum warst du traurig?"
    „Auch darum. Und wegen der Wunden,
wegen der Erschöpfung und wegen der gefallenen
Kameraden."
    „Und dann?"
    „Nichts. Alles vergißt man, alles
verschmerzt man."
    Was erwartet er, was soll ich ihm
noch sagen? Daß ich es nicht vergessen und nicht verschmerzt habe? Oder daß
es mir gleichgültig ist? Mit gespanntem Ausdruck sieht er mich an,
etwas in ihm ist unbefriedigt geblieben. Sein Lachen klingt
gezwungen, als verberge es einen Gedanken.
    Ist es das eifersüchtige Wachen des
Sohnes über die Reinheit der Mutter, an der er nicht zweifeln will? Etwas
beunruhigt ihn.
    „Du liebst deine Mutter sehr?"
    „Wie sollt ich sie nicht
lieben!"
    „Hast du Geschwister?"
    „Nein."
    „Habt ihr oft von mir
gesprochen?"
    „Ja. Die Mutter und ich. Der Vater
hört zu und lacht."
    „Wer hat dich zu mir
geschickt?"
    „Sie. Der Vater war
einverstanden."
    „Was hat sie dir gesagt?"
    „Wenn dir Ahmed EfFendi nicht hilft,
sagt sie, dann hilft dir keiner."
    „Der Vater war einverstanden. Und
du?"
    „Auch ich. Ich bin ja
hergekommen."
    „Aber es ist dir nicht ganz
recht."
    Er errötete, die sonnenverbrannten
Wangen flammten auf, und lachend sagt er: „Na, ich hab mich
gewundert. Warum gerade zu dir?"
    „Weil wir Verwandte sind."
    „Das sagen sie auch."
    „Ich hab zu Emin gesagt: Wenn dein
Sohn erwachsen ist, schick ihn zu mir. Ich werd mich um ihn kümmern. Das werde
ich schon schaffen." Es ist eine Lüge, aber ich will ihn beruhigen.
    Er ist empfindlicher, als ich
dachte. Es macht ihn wohl verlegen, daß sie gerade mich darum bitten, etwas
kommt ihm seltsam daran vor.
    Mir kommt es nicht seltsam vor. So habe
ich denn jetzt, da alles zu Ende geht, erfahren, daß sie mich nicht vergessen
hat. Und ich weiß nicht, ob es
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