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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern
Autoren: Joseph Wambaugh
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    1. KAPITEL
    Das Haus des Jammers
    Es war Muttertag, und sie beobachteten allesamt den Schrecklichen Tschechen. Normalerweise wurden das Gefluche und die Hektik, das Gestichel und Gezänk, Gezeter und Geschrei nach drei Stunden mit harten Drinks und leichtem Bier von einer halbwegs vernünftigen Unterhaltung abgelöst. Aber heute war Muttertag, und da die meisten von ihnen mindestens eine sogenannte Mutter nicht leiden konnten (der Schreckliche Tscheche besaß drei Ex-Frauen und war sogar auf seine leibliche Mutter ziemlich sauer), hatten sich die Anfangssymptome diesmal bis zum Abend hartnäckig gehalten – das heißt, es wurde wie wahnsinnig weitergesoffen.
    Was Leery, dem Schieler, ungemein gefiel. Er lutschte an seinen Zähnen und schielte in die Gegend, wischte mit einem schmutzigen Lappen die Bar ab und gratulierte sich selbst, weil er geschäftstüchtiger war als sämtliche Saloonbesitzer hier in der Gegend. Leery hätte nie auch nur im Traum daran gedacht, am Muttertag dichtzumachen. Er wußte aus jahrelanger Erfahrung, daß es einer dieser besonderen Tage war, an denen sich die von der Tagesschicht Verwundeten mal richtig vollaufen ließen. Der siebzigjährige Kneipenbesitzer schielte, als er eine neue Kiste Coors öffnete. Ein Menschenalter zuvor hatte ein Motorradcop zutreffend festgestellt, daß der mürrische Wirt weder lächeln noch grinsen und nicht einmal feixen oder das Gesicht verziehen konnte. Er war einzig und allein in der Lage, zu schielen. Daher sein Spitzname – Leery, der Schieler.
    Leerys Saloon, von den Verstörten, die hier zusammenströmten, zutreffend Haus des Jammers genannt, bestand im wesentlichen aus einer langen Theke, an der, Hüfte an Hüfte, etwa sechzig Menschen stehen oder sitzen konnten, was denn auch an jedem zweiten Mittwoch (dem Zahltag bei der Polizei) und jeweils freitags darauf der Fall war. In der ganzen übrigen Zeit waren die Jungs pleite oder so gut wie pleite, obgleich es stets einen harten Kern von einem Dutzend Stammgästen aus der Tagesschicht gab, die Leery auf profitable Weise über die Durststrecke bis in die späteren Stunden, in denen die polizeiverrückten Groupies und andere Zivilisten kamen, hinwegzuhelfen pflegten.
    Leerys Saloon war sehr finster, wie es jede Kneipe, in der Cops verkehren, sein muß (sie wollen nicht mehr allzu viel sehen, wenn sie dienstfrei haben), und es gab eine Musikbox, damit sich die Säufer auf der winzigen Tanzfläche nebenan nach Herzenslust anrempeln und anmachen, herumstoßen und wie die Verrückten umeinander herumspringen konnten. Leerys Tanzfläche hatte exakt die Größe von drei Särgen, hieß es gelegentlich. Zusätzlich zu dieser drei Särge großen Tanzfläche gab es in einem Raum nebenan einen Poolbillardtisch, an dem die Cops häufig von zweitklassigen Gaunern, die nur mal kurz reinschauten, geschröpft wurden.
    Zivile Besucher der Kneipe wurden durch entsprechende Hinweise sofort darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hier in allererster Linie um eine Copkneipe handelte. Beispielsweise gab es ein riesiges Plakat über dem Barspiegel: UNSERE COPS TRAU-ERN UM IHRE TOTEN. Oder den Aufkleber WÄHLT CONAN, DEN BARBAREN, ZUM POLIZEICHEF. Oder RETTET UNSER LAND, SPERRT EINEN DEMOKRATEN EIN. Und noch mehr solche Sprüche, die den Zweck hatten und ihn auch erfüllten, Pack und Gesindel draußen zu halten.
    Der deutlichste Hinweis allerdings war das Schild an der Damentoilette, eine Mahnung, die im Grunde wirklich nur für Cops bestimmt sein konnte, die in ihrer Geilheit in den frühen Morgenstunden nahezu zwangsläufig dazu übergingen, Jagd auf Groupies zu machen. Das Schild an der Damentoilette lautete: NUR für Damen!
    Leerys Bar war zweifellos eine jener Kneipen, die man, wie die männlichen und weiblichen Stammgäste wußten, am besten von vornherein nur solchen Typen empfahl, denen aller Voraussicht nach etwa die Untertöne in der Stimme des Schrecklichen Tschechen gefielen, wenn er aus der Zeitung Leitartikel vorlas, die gegen die Polizei gerichtet waren: mehr oder weniger Typen wie Dr. Mengele, Idi Amin und sämtliche Vertreter der spanischen Inquisition.
    Am Muttertag, an dem die Cops, die dienstfrei hatten, viel schneller schluckten, als Leery einschenken konnte, gab sich der Wirt großzügig und ließ für die Jungs und ihre Mädchen die Musikbox laufen. Natürlich wählte er ein paar ohren- und nervenzerfetzende Punk- und New-Wave-Platten aus, was prompt dazu führte, daß die empfindsamen Opfer dieses
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