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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
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hatte.
Zigaretten mit roter Banderole und der alten Sowjet-Flagge darauf. Haderlein
nahm sich eine der Kippen und betrachtete sie genauer. Das waren keine normalen
Zigaretten. Diese hier waren zur Hälfte in eine Art Butterbrotpapier
eingewickelt und an einem Ende wie eine Wurstpelle zusammengedreht. Die andere
Hälfte bestand aus einem genauso langen weißen Filterpapier, in dem aber der
Filter fehlte, sprich: Das Papier war leer und sah aus wie ein etwas
überdimensionierter Strohhalm aus Papier. Auch über dem toten Körper schwirrten
Schwärme von Fliegen – so wie überall im Haus. Kurzentschlossen ließ
Haderlein den merkwürdigen Glimmstängel in seine Hosentasche gleiten.
    »Schöne
Schweinerei«, meinte Ruckdeschl trocken. »Aber so viel kann ich dir schon mal
sagen«, versuchte er wenigstens eine ungefähre Bestandsaufnahme und blickte auf
seine Skizzen und Notizen, »dieser Mann wurde nahe der Eingangstür mit etwas
noch zu Definierendem enthauptet. Dann hat der Täter – respektive die
Täterin – den enthaupteten Leichnam zu dieser Kiste geschleppt und ihn
dort hinein drapiert. Anschließend ging der Täter zurück und legte den Kopf in
diese Kiste auf dem Tisch dort. Zuletzt ist er verschwunden, ohne
abzuschließen. Das Ganze ist jetzt mal, grob gesagt, eine Woche her. Genaueres
kann erst Siebenstädter sagen, wenn er die Fliegenmaden analysiert hat.«
    »Wieso
nicht mehrere Täter?«, fragte Haderlein, während er den toten Körper noch
einmal musterte. Er war mit einer Jeansjacke und einer schwarzen Stoffhose
bekleidet und trug an den Füßen schwarze Lederschuhe und weiße Socken. Unter
der Jacke leuchtete ein weißes Hemd hervor, das im Kragenbereich
eingetrocknetes Blut zierte.
    »Zumindest
hier im Gartenhaus müssen wir von einem einzelnen Täter ausgehen. Wir haben nur
Sohlenabdrücke von einem Paar Schuhe gefunden. Die waren allerdings Größe
siebenundvierzig, also nicht gerade grazile Schneewittchentreter. Ich gehe
demzufolge von einem männlichen, groß gewachsenen Täter aus, der allein die
Kraft besaß, die Leiche von A nach B zu wuchten. Er scheint mehrmals im Haus
hin und her gelaufen zu sein, hat aber nichts durchwühlt oder beschädigt. Nach
Fingerabdrücken suchen wir noch.«
    »Hm, ganz
ordentlich fürs Erste.« Haderlein schaute sich etwas ratlos in der Hütte um.
Außer der in zwei Stücke geteilten Leiche konnte er in diesem Raum nichts
Ungewöhnliches feststellen. Es gab einen Tisch, ein Bett, dazu einen
Kühlschrank, einen Fernseher und einen Kaminofen. Das Zimmer sah aus, als hätte
es sich jemand in ihm auf spartanische Art gemütlich gemacht. Regale mit ein
paar spärlichen Habseligkeiten standen neben der Miniküche, eine Korktafel mit
ein paar angehefteten Zetteln hing an der Wand. Nichts stach ins Auge. Aber
genau das fiel Haderlein auf.
    »Wo sind
seine Sachen?«, fragte er.
    »Sachen?
Was für Sachen denn?«, erwiderte Ruckdeschl.
    »Na,
seine Sachen halt«, erklärte sich Haderlein ungeduldig. »Klamotten, persönliche
Unterlagen, Handy, Autoschlüssel, Fotos et cetera. Ich kann nichts von alldem
hier entdecken. Aber warum? Dieser Kiesler hat doch angeblich hier gewohnt.
Also frage ich dich, Ruckdeschl: Wo sind seine Sachen?«
    Haderlein
schaute den erfahrenen Spurensicherer triumphierend an, denn er hatte recht.
Alles war verschwunden. Selbst der Kühlschrank war bis auf ein halb volles
Gurkenglas und ein verschimmeltes Stück Gouda leer, genauso wie die Schränke in
dem winzigen Badezimmer. Der Mörder hatte alles mitgehen lassen. Nicht einmal
Bilder hingen an den Wänden, kein Foto lag herum, einfach nichts. Haderlein
wurde klar, warum der Unbekannte so oft hin und her gelaufen war. Der hatte
etwas ganz Bestimmtes gesucht. Aber was? Auf jeden Fall war der Täter genauso
gründlich wie skrupellos in seiner Vorgehensweise gewesen.
    »Deshalb
auch keine Verwüstungsspuren. Der hat sich nicht einmal die Mühe gemacht zu
suchen, sondern einfach alles komplett mitgenommen«, vollendete Haderlein seine
Gedankengänge. Er hatte genug gesehen. Jetzt musste er sich mit dem Baron
unterhalten, denn es wurde Zeit, etwas über den toten Kiesler zu erfahren.
    Der Fluss
stürzte in kleinen Kaskaden die enge, schattige Schlucht hinunter. Hier war es
schweinekalt, aber durch die Kletterei war die Kälte für ihn erträglich. Das
Gefälle nahm allmählich ab, und der Flusslauf bog nach rechts und führte unter
einer Felswand entlang. Zwischen Flusslauf und dem Gestein war ein
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