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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt
Autoren: Helmut Vorndran
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ihrer
ungeduldigen Habicht-Stellung verharren, sodass er sich wieder seinem jungen
Kollegen zuwandte. Eigentlich musste er Lagerfeld ja nur dazu bringen, aus
seinem Schneckenhaus zu kriechen und mit der Umwelt zu kommunizieren, alles
Weitere würde sich dann schon von allein regeln, so dachte Haderlein
jedenfalls.
    Na gut,
ein unverfängliches Thema war für den Anfang wohl sicher das Beste. Schließlich
waren Lagerfeld und seine Freundin Ute von Heesen heute Abend bei ihm und
seiner eigenen besseren Hälfte zum Essen eingeladen. Nach den stressigen
Renovierungsarbeiten in der frisch bezogenen gemeinsamen Wohnung konnten die
beiden bestimmt einen entspannten Abend gebrauchen, an dem die verliebten
Hobbyhandwerker mal so richtig verwöhnt wurden. Was eignete sich für einen
verhängnislosen Einstieg in eine Unterhaltung also besser als eine einfache
Frage nach einrichtungstechnischen Entscheidungsfindungen.
    »Habt ihr
euch jetzt eigentlich endlich auf die Fliesen für das Bad geeinigt?«, flötete
Haderlein, so friedvoll es nur ging, auf die andere Tischseite, wo Lagerfeld
wie in Bronze gegossen auf seinem Bürostuhl verharrte. Kaum hatte Haderlein das
mitfühlende Gesprächsangebot artikuliert, wusste er schon, dass er einen Fehler
gemacht hatte. Während Honeypenny Haderlein noch erstaunt ansah, hatte sich
Lagerfeld wie von der Tarantel gestochen umgedreht und das Kinn kampfeslustig
in die Höhe gereckt. Er hatte sogar, was selten genug passierte, seine Brille
abgenommen und mit dem Blick eines gehetzten Waldaffen begonnen auf seinen
Vorgesetzten einzureden. Mit voller Wucht stürzten sich Wasserfälle des Leides
aus den geöffneten Schleusen der Lagerfeld’schen Psyche die steile Staumauer
der mühsam zurückgehaltenen Aggressionen hinunter und direkt auf Haderlein zu.
    »Fliesen?«,
knallte es schneidend durch den Raum. »Fliesen fallen ja wohl unter die finalen
Entscheidungen im umkämpften Zusammenleben von Mann und Frau, oder? Aber so
weit sind wir noch lange nicht. Vorher müssen wir uns noch mit so kleinen
Problemchen wie Toilettenhygiene, Wässerung von Pflanzen und Zimmertemperatur
die Zeit vertreiben.«
    Im
gesamten Büro machte sich hochkonzentriertes Schweigen breit. Jeder im Raum
verhielt sich betont teilnahmslos. Ob wegen seiner aktuellen Arbeitsaufgabe
oder der Sicherheitslage an gewissen Nebentischen wäre für einen etwaigen nicht
mit der Situation und den Personen vertrauten Beobachter nur schwer
feststellbar gewesen.
    »Oder
Kleidungsordnung!«, erregte Lagerfeld sich weiter, während seine schlaksigen
Arme wie wild in der Gegend herumfuchtelten. »Bisher hatte ich ja keine Ahnung,
dass das Outfit eines erwachsenen Mannes in einer Beziehung
genehmigungspflichtig ist!« Sein rechter Arm schoss dozierend in allerhöchste
Höhen, während eine Etage tiefer verbal weiterproklamiert wurde. »Keine Frau
auf dieser Welt wird mir jemals vorschreiben, was ich wozu auch immer anziehe
und was nicht. In welchen Klamotten ich das Haus verlasse, ist doch wohl
wirklich meine ureigenste Entscheidung!«
    »Dann
kommt Ute also heute Abend nicht?«
    Haderlein
begann seine überfällige Brotzeit auszupacken. Der Monolog Lagerfelds zeigte
bereits alle Symptome eines längeren Vortrages, also stellte er sich wohl
besser auf ein ausdauerndes, defensives Zuhören ein.
    Sein
junger Kollege bemerkte zwar die Essensvorbereitungen seines Vorgesetzten,
kommentierte diese aber nur mit einem kurzen, äußerst missbilligenden Blick.
Dass Haderlein ihm den von ihm ignorierten Kaffee unter der Nase wegzog, bemerkte
er in seinem erhitzten Gemütszustand schon gar nicht mehr.
    »Jeder
hat eben so seine Empfindlichkeiten, und ich hab halt meine. Für andere ist das
ja vielleicht egal, aber ich habe jetzt dreißig Jahre meines Lebens mit dem
gleichen dreilagigen Klopapier verbracht. Nicht dass mir das so unglaublich
wichtig wäre, aber es geht ums Prinzip! Wenn Ute meint, in einer Küche müssten
unbedingt Stechpalmen rumstehen, okay, aber dann will ich auch mein Klopapier
behalten. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?« Herausfordernd warf er
wütende Blicke durchs Büro, während Haderlein seelenruhig ins erste Honigbrot
Honeypennys biss.
    »Und dann
noch diese idiotische weibliche Sucht nach Regeln. Ich will mich doch nicht den
ganzen Tag lang mit Utes Vorschriften befassen, die in ihrer überwiegenden Zahl
sowohl sinnlos als auch kleinkariert sind. Ich meine, ich kann ja verstehen,
dass eine Frau, die in leitender Position
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