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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Autoren: Lian Hearn
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»Wach auf! Takeshi!«
    Â»Lord Shigeru.« Die Stimme des Mannes zitterte, er konnte die schreckliche Ahnung nicht aussprechen und drückte in seiner Erregung stärker auf die Schultern des Kindes.
    Takeshi blinzelte und hustete heftig. Wasser kam ausseinem Mund, er erstickte fast, schrie auf und würgte. Shigeru hob ihn hoch, wischte ihm das Gesicht ab und hielt ihn, während der Junge wieder würgte und seine Augen feucht wurden. Shigeru glaubte, sein Bruder würde weinen vor Erleichterung oder Schock, doch Takeshi kämpfte sich auf die Füße und stieß Shigeru weg.
    Â»Wo ist Yuta? Habe ich ihn geschlagen? Das wird ihn lehren, nicht auf unsere Brücke zu kommen!«
    Takeshis Lendentuch und die Ärmel waren voller Steine. Der Wachtposten leerte sie lachend.
    Â»Deine Waffen haben dich fast umgebracht! Das war nicht sehr klug, nicht wahr!«
    Â»Yuta hat mich hineingestoßen!«, schrie Takeshi.
    Trotz seines Protests trug der Mann ihn ins Haus. Die Nachricht von dem Unfall hatte sich rasch verbreitet; die Dienerinnen des Haushalts waren auf die Straße gerannt und drängten sich am Ufer.
    Shigeru hob seine Kleider aus dem Schlamm und zog sie an. Er überlegte, ob er baden und sich umziehen sollte, bevor er zu seiner Mutter ging. Er schaute zurück zum Fluss. Das Mädchen war wieder ins Boot geklettert und zog sich an. Sie schaute nicht in seine Richtung, sie ruderte gegen die Strömung flussabwärts. Männer tauchten immer noch nach Yuta. Shigeru dachte an den umklammernden, erstickenden Griff des Flusses und zitterte wieder trotz der Sonnenwärme. Er bückte sich und hob einen der kleinsten Steine auf – einen runden schwarzen Kiesel, vom Wasser geglättet.
    Â»Lord Shigeru!« Chiyo rief ihn. »Kommen Sie, ich bringe Ihnen frische Kleidung.«
    Â»Du musst mich bei meiner Mutter entschuldigen«,sagte er, während er am Ufer hinauflief. »Es tut mir leid, dass ich sie warten lasse.«
    Â»Ich glaube nicht, dass sie böse ist.« Chiyo lächelte und warf einen schnellen Blick auf Shigerus Gesicht. »Sie wird stolz auf Sie sein und Ihr Vater auch. Machen Sie sich keine Gedanken. Sie haben Ihrem Bruder das Leben gerettet.«
    Er fühlte sich schwach vor Erleichterung. Das Ausmaß des möglichen Unglücks war noch zu gegenwärtig. Wenn er nicht im Garten gewesen wäre, wenn Akira ihn nicht gefunden hätte, wenn er zuerst die Wachtposten gerufen hätte, wenn das Mädchen nicht nach ihm getaucht wäre … Er war dazu erzogen worden, den Tod nicht zu fürchten und den Tod anderer nicht übermäßig zu betrauern, doch er hatte noch nie einen Nahestehenden verloren und nicht gewusst, wie leidenschaftlich er seinen Bruder liebte. Jetzt näherte sich ihm das Leid mit seinem grauen, betäubenden Atem und seinen heimtückischen Waffen, die das Herz zerreißen und den Geist foltern. Er erkannte das Leid als einen Feind, der mehr zu fürchten ist als jeder Krieger; ihm wurde klar, dass er gegen diesen Angriff nicht gerüstet war. Und er wusste, er würde sein Leben lang darum kämpfen, das Leid in Grenzen zu halten, indem er dafür sorgte, dass Takeshi am Leben blieb.

KAPITEL 3 

    Am nächsten Tag wurde Mori Yutas Leiche am gegenüberliegenden Ufer angeschwemmt, etwas flussabwärts vom Haus seiner Familie. Ihren eigenen Kummer, so groß er auch sein mochte, verbargen seine Eltern unter ihrer Scham und Reue darüber, dass der Sohn des Clanherrn beinah ertrunken wäre. Yuta war zwölf, fast ein Mann. Er hätte sich nicht an kindischen Spielen beteiligen und einen Achtjährigen in Gefahr bringen sollen. Nach der Beerdigung bat ihr Vater um eine Audienz bei Lord Otori, die ihm gewährt wurde.
    Shigemori und seine jüngeren Brüder saßen in der großen Halle der Otoriresidenz, die innerhalb des Schlossgeländes lag und von Gärten umgeben war, die sich bis zu den großen Steinmauern am Meer zogen. Die ältesten Gefolgsleute waren ebenfalls im Raum: Endo Chikara, Miyoshi Satoru und Irie Masahide. Das Wellengeräusch und der Salzgeruch drangen durch die offenen Türen. Im Lauf des Sommers nahmen Wärme und Feuchtigkeit täglich zu, doch hier wurde die Luft vom Meer gekühlt und vom Wald auf dem kleinen Hügel hinter dem Schloss. Dort befand sich der Schrein für den Meeresgott mit der großen Bronzeglocke, die angeblich ein Riese gegossen
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