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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Autoren: Lian Hearn
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Chiyos Tochter hatte gerade ihren zweiten Sohn geboren und wurde die Amme des Jungen, der mit zwei Jahren den Namen Shigeru bekam.
    Zwei weitere Fehlgeburten wurden der Obhut von Jizo anvertraut, bevor Chiyo erneut eine Pilgerreise in die Berge machte. Diesmal nahm sie die Nabelschnur von Shigeru als Opfergabe für die Göttin mit und trug bei der Rückkehr einen weiteren gewebten Talisman bei sich.
    Shigeru war vier, als sein Bruder geboren wurde. Der zweite Sohn wurde Takeshi genannt – die Otori bevorzugten Namen mit Shige und Take , die ihre Söhne an die Bedeutung von Land und Schwert erinnerten, an die Segnungen des Friedens und an die Freuden des Kampfes.
    Die legitime Erbfolge war somit zur großen Erleichterung aller gesichert, außer möglicherweise Shoichi und Masahiro, die ihre Enttäuschung hinter der gefassten Haltung verbargen, die von der Kriegerklasse erwartet wurde. Shigerus Erziehung folgte der strengen, disziplinierten Tradition der Otori, die bei Männern Mut und physische Gewandtheit, scharfe Intelligenz, geistige Wachheit, Selbstkontrolle und Höflichkeit schätzten, bei Kindern Gehorsam. Er erhielt Unterricht im Reiten, im Gebrauch von Schwert, Bogen und Speer, in Kriegskunst und Strategie, Regierungskunst und Geschichte des Clans sowie in der Verwaltung und Besteuerung seiner Ländereien.
    Dieser Besitz umfasste das ganze Mittlere Land vom nördlichen bis zum südlichen Meer. Im Norden war die Hafenstadt Hagi die Residenz der Otori. Handel mit dem Festland und Fischerei im Nordmeer sorgten für den Wohlstand der Bewohner. Handwerker aus Silla auf dem Festland siedelten sich hier an und führten viele kleine Industrien ein, vor allem die Töpferei mit ihren schönen Erzeugnissen. Der Ton, der hier gefunden wurde, hatte eine besondere Farbe, die den hellen Glasierungen den Glanz eines schönen Teints verlieh. Yamagata in der Landesmitte war die zweitwichtigste Stadt, reger Handel wurde auch im Süden vom Hafen in Hofu aus getrieben. Von den Drei Ländern war das Mittlere Land das reichste, und das bedeutete, dass es von seinen Nachbarn immer begehrlich betrachtet wurde.
    Im vierten Monat des Jahres nach Kikuta Isamus Tod besuchte der zwölfjährige Otori Shigeru seine Mutter, wie er es einmal in der Woche zu tun pflegte, seit er das Haus seiner Kindheit verlassen hatte und als Erbe seines Vaters im Schloss lebte. Das Haus lag auf einer kleinen Landspitze kurz vor der Vereinigung der Zwillingsflüsse, die Hagi umkreisten. Die Bauernhöfe und Wälder am gegenüberliegenden Ufer gehörten der Familie seiner Mutter. Das Haus war aus Holz erbaut, die Veranden rundum waren von niedrigen Dachvorsprüngen überdeckt. Der älteste Teil trug ein Strohdach, doch Shigerus Großvater hatte einen Anbau hinzufügen lassen mit einem zweiten Stockwerk und einem Dach aus Rindenschindeln, einem Raum im Obergeschoss und einer Treppe aus polierter Eiche. Obwohl Shigeru noch nicht volljährig war, trug er ein kurzes Schwert im Gürtel seines Gewands. Da der Besuch bei seiner Mutter einen gewissen offiziellen Charakter hatte, war er an diesem Tag entsprechend gekleidet mit dem Otorireiher auf dem Rücken seiner weitärmeligen Jacke und geteilten weiten Hosen unter dem langen Gewand. Er wurde in einer schwarz lackierten Sänfte mit Seitenwänden aus gewebtem Schilfgras und geölten Seidenvorhängen getragen, die er immer hochrollte. Er wäre lieber geritten – er liebte Pferde –, doch als Erbe des Clans wurden gewisse Förmlichkeiten von ihm erwartet, und er gehorchte, ohne sie in Frage zu stellen.
    In einer zweiten Sänfte begleitete ihn sein Lehrer Ichiro, ein entfernter Cousin seines Vaters, der für Shigerus Erziehung verantwortlich war, seit der vierjährige Junge seinen herkömmlichen Unterricht in Lesen, Schreiben mit dem Pinsel, Geschichte, den klassischen Künsten und Poesie begonnen hatte. Die Sänftenträger liefen durch das Tor. Alle Wachtposten traten vor und fielen auf die Knie, als die Sänfte abgesetzt wurde und Shigeru ausstieg. Er dankte für ihre Verbeugungen, indem er leicht den Kopf neigte, und wartete respektvoll, bis Ichiro seine Sänfte verlassen hatte. Der Lehrer waran eine sitzende Lebensweise gewohnt und litt bereits unter Gelenkschmerzen, die ihm manche Bewegungen erschwerten. Der alte Mann und der Junge blieben einen Augenblick stehen und betrachteten den Garten,
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