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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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1

    Das erste, was ich von Isabell sah, waren ihre Beine.
    Ich lag unter meinem Schreibtisch und angelte nach einem Korrespondentenbericht über die jüngste Chruschtschow-Rede, als sie mein Zimmer betrat.
    Diese Beine, das erkannte ich beim ersten Blick, gehörten keiner unserer Redaktionsangestellten. Ich verstand mich auf Beine.
    Neugierig ruderte ich an die Oberfläche und war angenehm berührt, daß dem verheißungsvollen Anfang eine entsprechende Fortsetzung folgte.
    »Was kann ich für Sie tun?« fragte ich galant.
    »Ich hoffe, Sie werden nett zu mir sein«, antwortete sie.
    »Ich wüßte nicht, was ich lieber täte.«
    Ihr Ton wurde sofort um zwei Nuancen kühler.
    »Ich bin vom Verlag wegen besonderer Tüchtigkeit in die Redaktion versetzt worden«, sagte sie dienstlich. »Als Schreibkraft und Stenografin.«
    »Hm!«
    Für gewöhnlich wurden uns nur solche Schreibkräfte zugeteilt, die sonst in keiner Abteilung zu verwenden waren.
    »Können Sie Kaffee kochen?« fragte ich.
    »Ich habe eine Haushaltungsschule besucht«, sagte sie stolz.
    Der Kaffee war miserabel. Dafür war der Charme, mit dem sie ihn servierte, so hinreißend, daß die Hälfte davon auf meiner Hose landete.
    Während ich trank, beschloß ich, sie für Freitag zum Abendessen einzuladen. Früher ging es nicht, da für Dienstag Monika, für Mittwoch Anneliese und für Donnerstag Eva auf dem Programm standen. Vielleicht, daß ich Anneliese absagen könnte? Sie war für Ausreden am zugänglichsten.
    »Pflegen Sie immer unter dem Schreibtisch zu arbeiten?« unterbrach Isabell meine Gedanken.
    »Wie bitte?«
    »Nun ja«, meinte sie, »man hat mich im Verlag darauf aufmerksam gemacht, daß ich in der Redaktion auf alles gefaßt sein müsse. Hier soll kein einziger Mensch normal sein.«
    »Die haben es nötig!« entrüstete ich mich. »Ohne uns könnte der ganze Laden zusperren.«
    »Drüben hörte ich es genau umgekehrt.«
    »Ich werde Ihnen einmal etwas sagen, mein liebes Kind«, erklärte ich und stülpte mir meine Brille (die ich sonst nur im Kino trug) auf die Nase. »Hier wird schöpferische Arbeit geleistet. Hier wird die öffentliche Meinung gemacht. Hier ist eine Werkstatt des Geistes. Erst wenn wir etwas Vernünftiges produzieren, können die drüben etwas verwalten und verkaufen. So ist das, mein liebes Kind!«
    Sie schien nicht sonderlich beeindruckt.
    »Es wird eben so sein wie mit der Henne und dem Ei.«
    »Wie bitte?«
    »Die einen behaupten, das Ei sei zuerst dagewesen. Die anderen meinen die Henne.«
    »Die Henne, mein Fräulein, die Henne!« rief ich. »Die Henne verkörpert das schöpferische Prinzip. Die Henne produziert.«
    »Und woher kommt die Henne?«
    »Vom lieben Gott, mein Fräulein. Die erste Henne kam direkt vom lieben Gott. Sie war lange vor dem Ei da. Merken Sie sich das!«
    »Ich werde mich bemühen. Wenn ich auch die Theorie, daß ausgerechnet die Journalisten vom lieben Gott kommen sollen, reichlich kühn finde.«
    Ich ließ sie eine zweite Runde Kaffee kochen. Doch auch dieser war nicht besser als der erste. Immerhin wurde sie ein wenig zutraulich und gestand, daß sie einundzwanzig Jahre alt sei und Isabell hieße. Ihre Beinamen Cäcilia Hermana erfuhr ich erst ein Jahr später.
    »Außerdem hat man mir im Verlag gesagt«, eröffnete sie mir mit leiser Stimme, »daß in der Redaktion überaus lockere Sitten herrschen sollen. Jeder Journalist sei ein ausgemachter Filou.«
    »Unerhört!« brauste ich auf. »Wie könnten wir befähigt sein, das Gewissen der Massen aufzurütteln, wenn wir nicht selbst die entsprechende Sittenstrenge und Charakterstärke hätten?«
    »Damit haben Sie auch wieder recht«, erwiderte sie ernsthaft.
    »So ist es«, bekräftigte ich.
    An diesem Tag kam meine Zeitung um eine Stunde zu spät in die Kolportage. Die Maschinen konnten nicht zur gewohnten Zeit andrucken. Chefredakteur und Maschinenmeister bedrohten einander mit Umbringen. Als sie erfuhren, daß ich mit meinem Chruschtschow-Bericht der Schuldige war, erfanden sie zehn neue Todesarten.
    Isabell nahm meine Einladung für Freitag mit einer Miene an, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Ebenso selbstverständlich erschien es ihr, daß ich die Einladung wiederholte, daß wir unsere gemeinsame Tätigkeit auf Theater- und Kinobesuche, auf kleine Spaziergänge und den Besuch von relativ anständigen Tanzlokalen ausdehnten. Ich kam schließlich zur Überzeugung, daß ich im Begriff war, auf Grund meines hinreißenden
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