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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Autoren: Lian Hearn
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Schwänzen. Mori Yusuke züchtete beide und ließ sie auf den Feuchtwiesen grasen. Gelegentlich war ein Grauer so hell, dass er fast weiß erschien, mit weißer Mähne und weißem Schwanz. Wenn die Pferde gemeinsam galoppierten, sahen sie aus wie eine schwarz-weiße Sturmwolke. In dem Jahr, in dem Kiyoshige ins Schloss kam, gab sein Vater Shigeru ein junges schwarzes Hengstfohlen, seinem Sohn einen Grauen mit schwarzer Mähne und stiftete dem Schrein zusammen mit seinem jüngsten Sohn Hiroki einen Schimmel, der selbst zu einer Art Gott wurde. Jeden Tag wurde er zu einem Stall auf dem Schreingelände geführt, wo Leute ihm Karotten, Korn und andere Gaben brachten. Er wurde sehr dick und ziemlich gierig. Der Schrein lag unweit des Hauses von Shigerus Mutter, und gelegentlich wurden er und sein Bruder zu Festen dorthin mitgenommen. Shigeru bedauerte das Pferd, das nicht frei mit den anderen laufen konnte, aber es schien mit seinem neuen göttlichen Status völlig zufrieden zu sein.
    Â»Vater hat dieses Pferd wegen seines friedlichen Charakters ausgewählt«, vertraute Kiyoshige eines Tages in diesem Sommer Shigeru an, als sie sich über die Stangen vor dem Pferdestall beugten. »Aus ihm würde nie ein Streitross, hat er gesagt.«
    Â»Dem Flussgott sollte das beste Pferd geweiht werden«, sagte Takeshi.
    Â»Es sieht am besten aus.« Kiyoshige tätschelte den schneeweißen Hals. Das Pferd rieb die Schnauze an ihm, suchte nach Leckerbissen, zog, als es keine fand, die rosa Lippen zurück und biss den Jungen leicht in den Arm.
    Kiyoshige gab ihm einen Klaps. Ein Priester, der den Eingang zum Schrein gekehrt hatte, eilte herbei und schimpfte mit den Jungen. »Lasst das heilige Pferd in Ruhe!«
    Â»Es ist immer noch nur ein Pferd«, sagte Kiyoshige ruhig. »Mit so schlechten Manieren sollte es nicht davonkommen!«
    Hiroki, sein jüngerer Bruder, folgte dem Priester mit zwei Strohbesen, die größer als er waren.
    Â»Armer Hiroki! Leidet er darunter, dass er der Diener des Priesters sein muss?«, fragte Takeshi. »Mir würde das nicht gefallen!«
    Â»Ihm macht das nichts aus«, flüsterte Kiyoshige vertraulich. »Vater hat das auch gesagt – Hiroki ist von Natur kein Krieger. Hast du das gewusst, Shigeru? Als du bei der Audienz deine Meinung gesagt hast?«
    Â»Ich habe ihn im vergangenen Jahr beim Reihertanz beobachtet«, sagte Shigeru. »Es schien ihn tief zu berühren. Und er weinte im Gegensatz zu dir, als euer älterer Bruder ertrank.«
    Kiyoshiges Gesichtsausdruck verhärtete sich und er schwieg ein paar Sekunden. Schließlich lachte er undschlug Takeshi auf die Schulter. »Du hast schon getötet – und du bist erst acht. Du hast uns beide übertroffen!«
    Niemand hatte es gewagt, das laut zu sagen, doch Shigeru hatte es auch schon gedacht und manch anderer, wie er wusste, ebenfalls.
    Â»Es war ein Unfall«, sagte er. »Takeshi hat Yuta nicht töten wollen.«
    Â»Vielleicht doch«, murmelte Takeshi erregt. »Aber er hat auf jeden Fall versucht, mich zu töten!«
    Sie standen im Schatten der gewölbten Dachvorsprünge am Eingang zum Schrein. »Für Vater kommen die Pferde immer zuerst«, sagte Kiyoshige. »Selbst wenn es um eine Gabe für die Götter geht. Das Pferd muss den richtigen Charakter für eine Opfergabe haben – die meisten Pferde würden unglücklich sein, wenn sie den ganzen Tag im Stall stehen müssten und nie galoppieren dürften.«
    Â»Oder in eine Schlacht ziehen«, sagte Takeshi sehnsüchtig.
    In eine Schlacht ziehen. Die Köpfe der Jungen waren voll davon. Stundenlang trainierten sie mit Schwert und Bogen, studierten die Geschichte der Kriege und ihre Strategie und hörten am Abend den älteren Männern zu, die Geschichten von klassischen Helden und deren Feldzügen erzählten. Sie erfuhren von Otori Takeyoshi, der vor Hunderten von Jahren als Erster das legendäre Schwert Jato – die Schlange – vom Kaiser erhalten und damit eigenhändig einen Stamm von Riesen besiegt hatte. Und von allen anderen Otorihelden bis zu Matsuda Shingen, dem größten Schwertkämpfer der Gegenwart, der ihren Vätern den Gebrauch des Schwertes beigebrachtund Shigemori gerettet hatte, als der allein mit fünf Männern von vierzig Tohankriegern an der Grenze zum Osten aus einem Hinterhalt überfallen
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