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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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als nachlässig und lieblos in meinem Schnappsack aufbewahrt hatte, und schob es behutsam in einen kleinen Lederbeutel, den Rocco mir einmal geschenkt hatte, als wir noch im Ospedale lebten. Einer unserer Mitschüler hatte einen solchen Beutel von einem Mädchen für ihre Liebesbriefe bekommen, und da Rocco der Meinung war, daß auch für mich einmal der Tag kommen werde, an dem ich ein Liebespfand aufbewahren wolle, hatte er mir zu meinem Namenstag solch einen Lederbeutel geschenkt. Der sah inzwischen, obwohl er nicht benutzt wurde, vom langen Herumtragen schon recht schäbig aus. Zunächst kam ich mir lächerlich vor mit diesem unbequemen Lederbeutel auf meiner Brust, aber dann hatte ich ziemlich bald das Gefühl, daß das Fläschchen in ihm dort hingehöre.
    Bei Pontassieve mündete der Flußlauf, dem ich folgte, in den Arno. Ich ließ meine Hand ins Wasser gleiten, spürte es durch meine Finger rinnen. Ich bildete mir ein, daß ich den Geruch des Arno von allen anderen Flüssen dieser Welt unterscheiden könnte, obwohl ich diese Flüsse nicht kannte. Der Arno war sanft, er hatte keine tödlichen Wirbel wie ich dies von anderen Flüssen wußte, er murmelte, er säuselte.
    Ich überlegte mir kurz, ob ich mir den Luxus gönnen sollte, ein Schiff zu besteigen, aber es war anzunehmen, daß zu dieser Stunde und an diesem Tag kaum mehr Lastboote unterwegs waren – der Fluß war bereits voll mit kleinen Kähnen, aus denen Lachen zu mir drang und vor allem Musik: Gitarren, Flöten, Lauten, Krummhörner.
    Ich überlegte mir, wie wohl Rocco, Daniele und Brigida diesen Abend verbringen würden, falls es Brigida überhaupt erlaubt war, zusammen mit den Malern Silvester zu feiern.
    Und ich eilte der Zeit voraus.
    Sah mich in meinem Turm, sah mich bereits in meiner bottega, die es noch gar nicht gab und von der ich nicht wußte, ob ich sie überhaupt wollte.
    Aber trotzdem bevölkerte ich den schmalen Streifen zwischen Haus und Ufer schon mit Stühlen. Die Zugbrücke sollte stets heruntergelassen bleiben, ich sah mich in heißen Sommernächten mit meinen Freunden am kühlenden Wasser sitzen und Wein schlürfen. Wir schauten den Fischerbooten zu und waren stolz auf das neue Boot, das ich mir gekauft hatte. Und ich war ganz sicher, daß alles so sein würde, wie ich es mir nie zu wünschen getraut hätte.
    Für einen Augenblick, beim Abschied von jenem freundlichen Ort Rufina, in dem ich mich so wohl gefühlt hatte, hatte ich mein Leben vor mir gesehen. Es war alles offen.
    Ich konnte jeden Tag damit beginnen, es zu leben.
    Die Musik dieser Nacht mußte aus vertröpfelnden Tönen bestanden haben.
    Es konnte eine Harfe gewesen sein.
    Keine Melodie, nur einzelne Töne.
    Vielleicht die Tropfen von Ghitas Brunnen, in Musik gegossen.
    Glastropfen.
    In Azurit.
    P INXIT
    Ich erreichte Florenz, als die Dämmerung nahte.
    Der Sonnenuntergang erhellte den Horizont nur noch spärlich, aber die Kuppel des Doms war noch in ein gleißendes Licht getaucht, das wie gesponnenes rötliches Gold aufleuchtete.
    Die Vorbereitungen für den Jahreswechsel waren bereits im Gange, es würde nur noch Stunden dauern, bis die Glocken ihn ankündigten: Vor dem Battistero standen Sbirren und Ordnungshüter, um die Leute, die mit ihren Weihrauchkrügchen das neugesegnete Weihwasser aus der Taufkirche holten, zu geleiten, damit sie unbelästigt nach Hause kamen. Andere trugen noch rasch focolari , an denen man sich wärmen konnte, von einem Haus zum anderen, füllten die Öllampen auf oder steckten die Fackeln in die Ringe an den Häuserwänden.
    Mein Pferd wurde nun, nachdem es ein neues Hufeisen hatte, recht lebendig. Ich mußte seiner Wildheit mit harter Hand Einhalt gebieten und quälte mich zwischen Ochsenkarren und Planwagen hindurch. Musikanten zogen in Gruppen durch die Stadt, Fahnenträger schwenkten ihre Banner durch die Luft. Als ich beinahe einen Invaliden übersehen hätte, der sich ohne Beine auf einem Holzbrett mit Rollen mühsam voranbewegte, stieg ich ab und führte mein Pferd am Zügel, um niemanden zu belästigen. Ich bog in die Gasse ein, die zum Turm führte, den ich bereits ›meinen‹ torre nannte, und ich hatte plötzlich das Gefühl, als seien die Dinge des Lebens neu verteilt worden und ich hätte endlich an der richtigen Stelle die Hand gehoben. Für einen kurzen Augenblick stand ich am Arno und schaute auf das Treiben auf dem Fluß hinunter. In einem der Boote saßen fröhliche junge Leute, das Boot war voll besetzt, aber auch
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