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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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Besuch in der Stadt für mich mitgebracht. Ich nahm es in die Hand, entdeckte ein schmales Schildchen mit meinem Namen, aber keinem Gruß. Ich zögerte einen Augenblick, dann steckte ich es ein, um es später nicht eben sorgfältig in meinen Schnappsack zu packen.
    Später verließ ich das Haus und fuhr, ohne lang zu überlegen, mit einem Boot zu jenem Ort hinaus, den ich bisher immer gemieden hatte, weil er mir unheimlich erschien: eine Strecke zwischen den Inseln, die die Venezianer Canal Orfano nannten, da sie dort ihre zum Tod Verurteilten in den Fluten versenkten. Ich umkreiste die Stelle, an der das Fischen verboten war, mit immer rascheren Ruderschlägen. Dann blies ich meine Posaune, und zwar so wild wie nie zuvor. Es war spät in der Nacht, und ich hoffte, daß niemand es hören würde.
    Als ich das Gefühl hatte, meinen letzten Atem hinausgeblasen zu haben, versenkte ich das Instrument. Auch dies ein Akt des Augenblicks, den ich später bereuen sollte. Aber zu dieser Stunde schien es mir richtig, was ich tat. Ich beobachtete im Mondlicht, wie die Posaune unterging, beobachtete den Vorgang kühl, als sei dieses Stück Metall ein Insekt, das ich unter einem Vergrößerungsglas sezierte, um zu sehen, woher die Töne stammten. Ich sah, wie sich das Mundstück, das schwerer war, schräg nach unten neigte, sah den Wirbel, der für einen Augenblick entstand, als sich die Posaune offenbar nicht entscheiden konnte, in welche Richtung sie sinken sollte – dann verschwand sie gurgelnd in den Fluten.
    Ich verließ den Palazzo im Morgengrauen.
    Ich schloß das Tor und legte den Schlüssel hinter einen Mauerstein, wie ich es immer getan hatte. Aus dem Stall holte ich das Pferd, das ein Teil der Bezahlung für meine Arbeit sein sollte, wie dies Nardo bereits vor Wochen bestimmt hatte. Ich konnte nicht verhindern, daß meine Augen feucht wurden, als ich auf diesem Pferd in die enge Gasse einbog, in der Männer soeben den Müll aus den Häusern in den Kanal warfen. Nebel hing über dem Wasser, irgendwo auf dem Canal Grande hörte man die Ruderschläge einer Gondel. Noch schlief die Stadt. Die Luft roch nach Meer. Und ich wußte nicht, wohin das Pendel ausschlagen würde, noch war ich nicht sicher, ob ich in Schwermut versinken oder ob mich Euphorie übermannen würde. Es dauerte ganze fünf Wegmeilen, bis mich die Euphorie ergriff: Als die Sonne über den Horizont kroch, überkam mich mit einem Male ein unbändiges Glücksgefühl. Ich sah plötzlich tausend Bilder in meinem Kopf aufsteigen, die ich malen würde. Bilder, für die ich keinen Tetraeder als Hilfskonstruktion mehr nötig hatte – die prospettiva trug ich nun endgültig in mir, ich konnte zu jeder Zeit über sie verfügen, sie gehörte mir. Ich nahm sie mit aus Venedig als Geschenk.
    Ich erinnerte mich an die Geschichte von jenem chinesischen Maler, der vom Kaiser den Auftrag bekommt, einen Hahn zu malen. Der Maler malt, malt Tag und Nacht, malt Monate und Jahre. Er malt nichts anderes als Hähne. Hähne, hundertfach, tausendfach. Und jedesmal, wenn der Kaiser seinen Beauftragten schickt, um nachfragen zu lassen, wie weit die Arbeit gediehen sei, sieht dieser, wie das Innere des Malerhauses langsam zuwächst mit Hähnen. Hähne an den Wänden, Hähne auf den Tischen, auf den Bänken, auf dem Bett. Eines Tages gibt es nicht einmal mehr ein Stück Boden, das frei ist. Schließlich kommt der Kaiser selber, sieht kopfschüttelnd und zornig zugleich die Abertausende von Hähnen und fragt, weshalb er angesichts der Vielzahl von Hähnen nicht endlich seinen Hahn bekomme. Der Maler begrüßt den Kaiser untertänig, setzt sich auf den Boden, nimmt ein Blatt Papier und malt einen Hahn, in kürzester Zeit. Das ist Euer Hahn, sagt er dann stolz und demütig zugleich. Jetzt könnt Ihr ihn endlich haben.
    Gegen die Mittagszeit dachte ich kurz an das Haus des Messer Orelli und daß dort nun ein neuer Maler einziehen würde, vermutlich. Ich dachte an Leonello, Daniele, an Rocco und Brigida. Aber ich fühlte noch immer nichts als die Ferne, die zwischen uns lag. Fast so, als hätten wir uns nie gekannt. Oder so, als habe sich ein Meeresarm zwischen uns gedrängt. Unwiderruflich. Ich spürte Trauer in mir aufsteigen, schob sie beiseite und spielte die Möglichkeiten durch, wie es weitergehen könnte: Rocco heiratet Brigida; ich wußte, es ging nicht. Daniele heiratet Brigida; dies ging noch weniger. Ich heirate Brigida – ich blieb ratlos.
    Ich wollte malen. Nichts als
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