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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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Spiegel, die zur Blindheit verdammt sind. Der Marmor des Altars gilbte und zeigte Risse. Durch das zerstörte Dach streckte ein Olivenbaum, schwarz wie verbrannt, seine Äste ins Kirchenschiff. In einem Ast war ein großes Loch, in dem die Maden hausten. Erst kommt die Feuchtigkeit, hatte Rocco einmal gesagt, als wir einen alten Baum in Augenschein nahmen, dann kommen die Pilze, später die Insekten und dann kommt vielleicht ein Specht, der die Insekten frißt.
    Und dann?
    Dann stirbt der Baum – wie ein Mensch.
    Ich durchsuchte die Gebäude nach einer Schlafstelle und entdeckte Mönchszellen. An den Decken hingen Fledermäuse, die erschreckt hochflatterten. Es handelte sich also um ein ehemaliges Kloster, das aus irgendwelchen Gründen verlassen worden war, ich vermutete wegen der Pest oder der Malaria.
    Ich führte mein Pferd in einen Stall und fand ein Bündel Stroh und etwas Hafer in der Krippe. Dann ging ich in die Küche und entfachte mit dem Holz, das es reichlich gab, ein Feuer. Ich füllte den Topf, den ich mit mir trug, mit Wasser aus meinem Lederschlauch, warf eine Handvoll getrocknete Pilze in das Wasser und etwas getrocknetes Fleisch, das aus Ghitas Küche stammte. Außerdem hatte ich Nüsse, Brot, Käse und Äpfel in meinem Schnappsack. Den Wasserschlauch hatte ich unterwegs an einem Brunnen, an dem ein Schöpfgefäß hing, füllen können, so daß ich an diesem Abend weder zu dursten noch zu hungern brauchte. Später fand ich in einer Scheuer getrocknetes Farnkraut, mit dem die Mönche vermutlich die Schlafsäcke gestopft hatten. Ich breitete sie vor dem Ofen aus und deckte mich mit meinem Mantel zu.
    In der Nacht hörte ich die Wölfe heulen, es mußte ein ganzes Rudel gewesen sein. Irgendwann wurde ihr Heulen von dem hartnäckigen Rufen eines Käuzchens abgelöst und dem trockenen Husten eines Fuchses. Ich habe nie Schafe gezählt, um einschlafen zu können, ich habe statt dessen Dinge memoriert, die ich behalten wollte. Diesmal waren es die sieben Stufen der Transmutation: Kalzination, Sublimation, Solution, Putrefaktion, Destillation, Koagulation und Tinktur.
    In der Morgendämmerung, als ich erwachte, Hände und Füße steif vor Kälte, war ich mir plötzlich sicher, daß unser Liebesakt lautlos gewesen sein mußte. Zumindest schien es mir in diesem Augenblick so. Auch wenn es mich in gewissem Sinn enttäuschte, daß unsere Schreie sich nicht zu einem spitzen Dom vereinigt hatten.
    Der Herd war noch warm, so daß ich, bevor ich losritt, noch den lauwarmen Rest der Suppe essen konnte. Im Stall begrüßte mich mein Pferd mit Wiehern, was mich mit Glück erfüllte, da es mich an unsere Stute erinnerte.
    Der zweite Tag verlief angenehmer als der erste: Der Regen hatte aufgehört, die Sonne schien, wenn auch durch Dunst verdeckt. Am Nachmittag, unweit Ravenna, verließ ich den Weg, der am Meer entlang geführt hatte, und wandte mich dem Landesinneren zu. In Forli kaufte ich mir bei einem Täfler eine Holztafel, auf die bereits der Rahmen geklebt war. Farben hatte ich dabei, ich konnte also zu jeder Zeit mit dem Malen beginnen. Am ersten Abend wollte ich nämlich meine neue Bleibe dadurch einweihen, daß ich ein Bild zu malen begann, das sich in meinem Kopf bereits formte: Es sollte ein Azuritbild werden, ein wilder Garten mit der magischen Wand. Und das Oktogon.
    An diesem Abend hatte ich mehr Glück als am Vortag: Ich fand an den Abhängen des Apennin eine passende Herberge. Zwar hatte die Latrine nur wenige Plätze, so daß ich es vorzog, mein Wasser an einem Baum abzuschlagen und für meine Notdurft den Stall zu benutzen, aber das Bett in der Schlafkammer war ein Bett für vier Personen und an diesem Abend glücklicherweise nur mit zweien belegt. Mein Pferd wurde gut versorgt. Das Essen war karg, aber halbwegs genießbar. Und daß das Bett klamm war, ertrug ich mit Geduld.
    Der brennende Salamander.
    Ich durchlebe diese Nacht noch einmal. Ich sehe unsere Liebe, als sei sie mit rötlichen Goldfarben auf weißen Grund gemalt. Ich sehe unsere Körper glühen wie im Feuer, ich spüre einen Atem, der für mich in dieser Nacht zum heiligen Odem wird, ich empfinde ihn als etwas, was nicht mit den Worten der Sterblichen benannt werden kann. Ich bin Bacchus und Pan zugleich, umklammere einen weiblichen Körper, schlürfe ihn in mich hinein wie eine Auster. Ich spüre die Fingerspitze Gottvaters auf mich gerichtet, wie auf Michelangelos Deckengemälde in der Sixtina. Und ich fühle mich dieses Fingerzeigs
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