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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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meinem Gepäck, und da es keine Staffelei gab, lehnte ich sie an einen Rosenhut, legte eine Zange davor, damit sie nicht weggleiten konnte. Dann nahm ich meine Farben aus dem Korb, die ich in dem Gasthof in Rufina bereits gemahlen hatte, und füllte sie behutsam in die Muschelschälchen. Ich rührte das Bindemittel in die Farbpigmente, ein Vorgang, der mich auch jetzt wieder zu innerer Ruhe brachte, eine Beschäftigung, alt und neu zugleich. Ich empfand mich wie in einem irrealen Raum, in dem die Zeit verloren schien, als habe es nie eine gegeben.
    Als alles bereit war für meine Arbeit, holte ich mir einen Schemel, setzte mich vor die leere Tafel und legte Palette und Pinsel bereit. Ich fühlte, wie das Bild, das ich zu malen gedachte, ganz langsam in mich hineinkroch. Wie es sich heranbewegte wie eine Meereswelle, sehr sanft, die Flut noch in weiter Ferne. Ich spürte einzelne Bildelemente in meinem Kopf schemenhaft wachsen, zunächst so, als lösten sie sich aus dichtem Nebel. Figuren standen plötzlich neben mir und warteten wie bei einem Theaterspiel auf ihren Einsatz, den ich ihnen zu geben hatte. Noch konnte ich die Gesamtkomposition des Bildes nicht deutlich erkennen, noch war nicht einmal das Thema klar, das ich wählen würde, lediglich die Richtung deutete sich an, zaghaft. Aber eines wußte ich auf jeden Fall: Dieses Bild würde ich malen ›mir zur Freude‹. Niemand hatte es bestellt, niemand gewünscht, niemand würde mir dreinreden oder die Unzen Aquamarin oder Silber angeben die ich dafür verwenden durfte. Und niemand würde mir sagen, wieviel Zeit ich für dieses Bild zur Verfügung hatte.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so saß, reglos, ohne auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen. Ich verharrte noch in dieser Starre, als der Lärm auf dem Fluß drunten gewaltiger wurde und ich durchs geöffnete Fenster Stimmen hörte, die mir vertraut schienen: Ich beugte mich hinaus und sah vier Stockwerke tiefer ein Boot, in dem ich Brigida, Rocco und Daniele zu erkennen glaubte. Rocco spielte die giga , Brigida die Viola da gamba, Daniele den Dudelsack. Ihr Lachen drang zu mir herauf, zunächst in aller Deutlichkeit, dann ging es unter in Glockengeläut und dem Lärm eines Feuerwerks. Raketen zischten an meinem Fenster vorüber: Das neue Jahr mußte angebrochen sein.
    Für einen winzigen Augenblick, als ich die Instrumente hörte, hatte ich Sehnsucht nach meiner Posaune, stellte mir vor, was es mir bedeuten würde, sie jetzt zu blasen. Dann fiel der Wunsch wie ein Kartenhaus in sich zusammen, und ich schloß das Fenster. Ich verweigerte mich zu dieser Stunde dem neuen Jahr und tat etwas ganz und gar anderes: Ich stieg mit Ghita auf den Regenbogen. Ich lief ihr entgegen, wir trafen uns in der Mitte, tanzten dort. Einen Regenbogentanz, der alles vergessen ließ, was uns getrennt hatte nach jener Nacht.
    Dann nahm ich das Fläschchen, das sie mir gegeben hatte, aus dem Lederbeutel auf meiner Brust und hob es ins Licht der Kerze. Das Blau des Azurits schien zu leuchten, als sei im Innern des Fläschchens eine Flamme entzündet worden. Ich hatte das Gefühl, als verdopple sich plötzlich das Gewicht des Gefäßes, als wiege es so schwer wie Blei. Und obwohl mir in aller Deutlichkeit klar war, daß es sich nicht um ein Elixier handeln konnte, empfand ich es so. Ich wußte, im Fläschchen befanden sich nur ein paar Farbpigmente, die mit irgendeinem Bindemittel angerührt waren. Aber in dieser Sekunde gewannen sie für mich eine Bedeutung, die jenseits aller Vernunft angesiedelt war.
    Und während ich dastand, noch unschlüssig, welches Bild dies werden sollte von all den vielen Bildern, die immer heftiger in meinen Kopf drängten, hörte ich plötzlich ihre Stimme. Es mußten Worte sein, die in jener Nacht des brennenden Salamanders gefallen waren, hinter der magischen Wand, wo wir uns vereinigten. Es waren nur Bruchstücke, die ich hörte, Satzfetzen, die sich auf das Elixier bezogen, das nur jeder für sich selber finden könne und gewiß nicht auf dem Weg der Destillation.
    Ich nahm den Pinsel in die Hand, tauchte ihn in die blaue Farbe und setzte mich auf den Schemel. Und malte in die rechte untere Ecke der leeren Holztafel bedächtig und mit einem sehr sorgfältigen Strich das erste pinxit meines Lebens. Dahinter setzte ich meinen Namen.
    Und ich war ganz sicher, daß Ghita in ein gewaltiges Lachen ausbrechen würde, falls sie je von dieser leeren Holztafel, dem noch nicht geborenen Bild und der
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