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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger
Autoren: Andreas Franz
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Prolog
     
    Der Regen hatte schon am frühen Morgen eingesetzt und wurde jetzt von heftigen Sturmböen gegen die Windschutzscheibe seines Wagens gepeitscht. Die Scheibenwischer bewegten sich in monotonem Rhythmus, er hatte eine CD eingelegt mit Musik von Brahms. Der Tag war nichts weiter als eine stundenlange Dämmerung gewesen, und obwohl es erst kurz nach halb fünf am Nachmittag war, so würde es doch noch etwas über zwei Stunden dauern, bis die seit dem Morgen anhaltende Dämmerung in vollkommene Dunkelheit übergehen würde. Alles wirkte grau und trist, die Menschen auf eine seltsame Weise traurig und melancholisch, und wie immer bei diesem stürmischen, regnerischen Herbstwetter kam der Verkehr nur zäh und stockend voran. Trotz des Regens hatte er sich vorgenommen, das Grab seiner Eltern zu besuchen, die vor mehr als zwanzig Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, als sie im dichten Nebel von einem unaufmerksamen LKW-Fahrer gerammt worden waren und im sofort in Flammen aufgehenden Wagen bei lebendigem Leib verbrannten. Noch heute meinte er bisweilen, ihre verzweifelten Schreie zu hören, auch wenn er nie erfahren hatte, was sich damals wirklich abgespielt hatte.
    Als er am Friedhof anlangte, stieg er aus, spannte den Schirm auf und stemmte sich dem Wind entgegen. Mit schnellen Schritten bewegte er sich über den aufgeweichten Boden, bis er vor dem Grab stand. Er verharrte einen Moment, sah auf die jetzt verwelkten Pflanzen und nahm sich vor, innerhalb der nächsten zwei oder drei Wochen das Grab zu säubern und mit Tannenzweigen zu belegen, bevor der erste Frost einsetzte. Nach fünf Minuten drehte er sich wieder um, diesmal hielt er den Schirm hinter seinen Kopf. Er lenkte seinen Wagen aus der Parklücke, fuhr die Straße weiter geradeaus, bog an der nächsten Kreuzung rechts ab und gleich danach wieder rechts in eine schmale Gasse,wo sich zu beiden Seiten schmucke Einfamilienhäuser aneinander reihten, nur am Ende der Straße stand ein vierstöckiger Neubau, in dem sich mehrere Eigentumswohnungen befanden. Er hielt davor und stellte den Motor ab. Er sah hinauf, hinter ihrem Fenster brannte kein Licht. Er ging auf die Haustür zu, klingelte. Als sich auch nach dem zweiten Klingeln nichts rührte, holte er den Schlüssel aus seiner Tasche, schloss auf und betrat das Haus. Er fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock, klingelte erneut. Kein Geräusch war in der Wohnung zu hören. Er steckte den Schlüssel in das Schloss, drehte ihn zweimal, machte die Tür auf. Er drückte den Lichtschalter und kniff die Augen zusammen. Mit langsamen Schritten ging er über den Flur ins Wohnzimmer, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, verharrte regungslos. Nichts war mehr da, kein Stuhl, kein Tisch, kein Schrank, kein Fernseher. Selbst die Vorhänge hatte sie mitgenommen. Auf dem marmornen Fensterbrett vor dem Balkon lag ein Briefumschlag, auf dem sein Name stand. Er nahm ihn in die Hand, öffnete ihn, holte den Brief heraus, las.
Hallo,
    wie Du siehst, bin ich weg. Ich will auch nicht viele Worte machen, es ist einfach aus. Weißt Du, es ist nicht leicht für eine Frau wie mich, mit einem Mann wie Dir zusammen zu sein. Ich bin noch jung und will das Leben genießen und meine Jugend nicht an einen Mann verschwenden, der nur ab und zu in der Lage ist, meine Bedürfnisse zu befriedigen, Du weißt schon, was ich meine. Du wirst damit leben müssen, ich will es nicht. Es tut mir Leid, es Dir so sagen zu müssen, aber es ist für mich das Beste.
    Versuche bitte nicht, mich zu finden, es wäre schlecht für Dich und Deine Karriere. Mir steht die Welt noch offen, während sie für Dich anscheinend verschlossen ist.
    Ach, übrigens, Deine Geschenke habe ich behalten, ichdenke, ich habe sie mir verdient, für die Engelsgeduld, die ich für Dich aufgebracht habe.
    Ich werde Dich vergessen haben, sobald ich diese Wohnung verlassen habe. Tu mir also einen Gefallen, halte Dich fern von mir. Ich kenne Deine Frau zwar nicht, aber Du willst doch sicher nicht, dass sie erfährt, was in den vergangenen zwei Jahren zwischen uns war.
    Leb wohl, ich werde es tun.
     
    P.S.: Solltest Du jemals ernsthaft geglaubt haben, ich hätte etwas für Dich empfunden oder Dich sogar geliebt, so muss ich Dich leider enttäuschen. Alles, was ich für Dich empfunden habe, war Mitleid, weil Du im Grunde genommen einfach nur erbärmlich bist. Aber welche Frau könnte sich schon Deiner Großzügigkeit entziehen?!
    Keine
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