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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander
Autoren: Ingeborg Bayer
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wenn noch ein Platz frei gewesen wäre, ich hätte mich nicht dorthin gesehnt.
    Ich zwang mich zur Langsamkeit, als ich mich dem torre näherte, als sei er eine Festung, die mit Bedacht genommen werden mußte. Ich stellte zunächst in aller Ruhe mein Pferd in den Stall hinter dem Gebäude, so, als hätte ich dies mein Leben lang getan. Ich rieb es trocken, gab ihm Wasser, frisches Stroh und Hafer. Ich flüsterte ihm zärtlich ins Ohr, daß wir nun jeden Morgen in aller Frühe über die Hügel reiten würden. Dann nahm ich den Schlüssel zum Turm aus einer Mauerritze unterhalb der Dachsparren des Stalls, der vierten von links, wie Nardo es erklärt hatte. Ich wog den Schlüssel in der Hand, als hätte ich soeben den Stein der Weisen gefunden. Ich holte die Malutensilien aus meiner Satteltasche, legte alles in einen Korb und ließ die Zugbrücke herunter. Ihr Quietschen hörte ich wie ein sakrales Geräusch. Als ich über sie schritt, hatte ich das Gefühl, nach langer Fahrt endlich wieder in meine Burg zurückzukehren. Ich öffnete die Tür mit den dicken Bolzen.
    Und ich betrat den Turm.
    Ich atmete das Haus ein! Es roch gut. Es war kalt, aber nicht feucht, nicht modrig. Und ich hatte das Gefühl, als gehöre es mir, mir allein. Als hätte ich nun alle Macht, die Welt auszuschließen, solange ich wollte.
    Das Erdgeschoß, das ich später vielleicht einmal zu meiner bottega machen würde, sparte ich zunächst einmal von der Besichtigung aus. Noch hatte ich keine Lust, meine Gedanken an diese andere Seite meines Berufs zu verschwenden, an den Mammon. Ich stieg die Treppe hinauf, sehr bedächtig.
    Die Kerze, die ich in einem Ständer auf dem Boden gefunden und angezündet hatte, beleuchtete eine schmale Holztreppe mit ausgetretenen, knarrenden Stufen. Dann folgte ein Stockwerk mit zwei Türen, die zu Nardos und Ghitas Räumen führten. Im dritten Stock ist Eure Schlafkammer, hatte Nardo gesagt, einen Teil der Bibliothek haben wir nach der Explosion im Laboratorium dort untergebracht, Bücher werden Euch gewiß nicht stören. Aber im Augenblick interessierte mich keine Schlafkammer und nicht einmal eine Bibliothek – in dieser Stunde wollte ich wissen, wo ich in Zukunft arbeiten würde.
    Ich stieg also weiter die Treppe empor bis zum vierten Stock. Die Kerze flackerte, ließ die rauhe Oberfläche der weißgetünchten Wände überdeutlich hervortreten. Vor der Tür zu meinem künftigen Atelier vergaß ich alle Bedächtigkeit: Ich öffnete sie mit einem raschen Ruck. Die letzten Spuren des Abendlichts erhellten den Raum, ließen alles sichtbar werden, was ich bereits von Venedig her kannte: einen großen Ofen in der Mitte des Raumes für die Transmutation, einen kleineren Brennofen, den Mohrenkopf mit der Wasserkühlung am Helm, Retorten, Serpenten aus Kupfer, Pelikane, Alembicus, Rosenhüte und in einer Ecke einen gigantischen Destillationsapparat, wie ich ihn noch nie gesehen hatte.
    Und dann, mit einem Male, das Licht.
    Ein Licht, das bisher in meiner Erinnerung gefehlt hatte. Ich war plötzlich ganz sicher, daß es ein Licht gegeben hat in jener Nacht, und nun war mir auch seine Quelle bewußt: Es war der Feuerschein, den die drei Öfen im Laboratorium des Palazzo gespendet hatten. Ihr Widerschein mußte sich im Fenster gespiegelt haben, war direkt in das Innere des Oktogons gefallen, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß dies ein Zufall war; bestimmt hatte Ghitas Vater dies einst so geplant und berechnet. Orangefarbenes Licht, nicht grell, eher sanft, mit einer Spur Gelb an den Rändern.
    Ich schloß die Tür hinter mir, drehte mich um die eigene Achse, nahm den Raum mit allen Poren in mich auf. Dann ging ich an das Fenster, öffnete es und schaute hinunter auf die Stadt. Die Kuppel des Doms glänzte noch schwach, ein schmales durchlöchertes Lichtband nur, das sich zur Spitze hinaufzog. Der Fluß war inzwischen hell beleuchtet von Fackeln, es mußten Hunderte von Booten sein, die sich auf der Stelle zu bewegen schienen. Alles war laut, ausgelassen, fröhlich.
    Aber ich fühlte keine Sehnsucht nach solcher Fröhlichkeit in dieser Stunde, ich vermißte sie nicht. Und es war mir gleichgültig, ob soeben ein neues Jahr begann, ein neues Jahrzehnt oder ein neues Jahrhundert. Es gab keine Uhr in diesem Raum, und ich war dankbar dafür. Nicht einmal die Sonnenuhr im Hof wollte ich in Zukunft benutzen. Ich hatte vor, ein zeitloses Leben zu führen – wie ich es in Venedig getan hatte.
    Ich nahm die Holztafel aus
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