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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall
Autoren: Jeanine Krock
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Verletzten entwichen. Sie zeigte auf ihre Couch und schämte sich für die Überlegung, ob das Blut sich wohl jemals wieder aus den Kissen entfernen lassen würde. «Sie stirbt. Ich muss einen Arzt rufen!» Hektisch kramte sie ihr Handy hervor, als ihr eine sehnige Hand das Telefon entwand.
    «Warum willst du der Frau helfen? Eine völlig Fremde liegt schwer verletzt in deiner Wohnung.» Er stand auf. «Oder kennst du sie etwa?» Er war jetzt viel zu nahe vor ihr, seine Stimme war viel zu hypnotisierend. «Jeder Arzt muss diese Verletzung melden. Hast du eine Ahnung, was die Flics denken werden?»
    «Dass du ebenfalls ein Einbrecher und vielleicht ihr Mörder bist?», fragte Vivianne schnippisch und versuchte, sich von seinem Zauber zu befreien, indem sie einen Schritt zurücktrat. Sie wusste längst, dass er recht hatte. Aber man kann sie doch nicht so einfach sterben lassen.
    Der Fremde sah sie schweigend an und musste wohl die Hoffnung in ihrem Gesicht gelesen haben, denn er fragte schließlich: «Also gut, hast du irgendwo Verbandszeug?»
    «In der Agentur gibt es einen Erste-Hilfe-Schrank.» Vivianne war sicher, ihre sterblichen Mitarbeiter hatten erst kürzlich etwas in der Art erwähnt, als sich eines der Model an einem Glas die Hand verletzt hatte. Sie selbst hatte vorgeben müssen, den Anblick von Blut nicht ertragen zu können, so sehr war ihr damals der Duft zu Kopf gestiegen, und jetzt erging es ihr nicht besser. «Ich bin gleich wieder da.»
    Den kleinen Kasten fand sie schnell, aber trotz ihrer Sorge um das Menschenleben wagte sie die Rückkehr erst, als sich ihre Reißzähne zuverlässig zurückgezogen hatten. Als Vivianne wieder ihre Wohnung betrat, saß
der vermeintliche Einbrecher mit übergeschlagenem Bein in einem Sessel. Sie starrte auf seine Füße, sie waren wohlgeformt, leicht gebräunt und sahen erstaunlich gepflegt aus. Er trägt tatsächlich keine Schuhe, wie bizarr!
    Der fremde Vampir ließ kein Detail ihrer eigenen Erscheinung aus, und als sein Blick auf Viviannes Füße fiel, glaubte sie, ein Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Da fiel ihr ein, dass ihre eigenen Schuhe immer noch in dem Beutel steckten, der vergessen auf dem Boden des Flurs lag. Sie schüttelte den Kopf, um sich aus der merkwürdigen Trance zu befreien, die sie in Gegenwart des Fremden erneut überfallen hatte. Endlich sah sie zum Sofa: Die Frau lebte nicht mehr und wirkte deutlich blutleer. «Was hast du getan?»
    Er wischte sich mit einer nachlässigen Geste über den Mundwinkel. «So ist es eben mit Sterblichen, sie sterben.»
    Anstelle einer Antwort ließ Vivianne das Verbandszeug fallen und starrte auf eine geöffnete Schatulle am Boden. «Er ist weg!» Ihre Stimme zitterte. Sie kniete nieder und drehte die kleine, mit dunklem Leder bezogene Kiste hin und her, als würde, was auch immer sich darin befunden hatte, plötzlich wieder auftauchen.
    «Ist etwa dein kostbarer Tand fort?» Der Vampir klang belustigt.
    «Nein.» Doch! Es wurde etwas gestohlen. Sie blickte auf ihre zitternde Hand und versuchte sich zu sammeln. Schließlich antwortete sie: «Es gehörte nicht mir.» Tränen schossen in ihre Augen. «Er ist weg …», flüsterte sie immer wieder und schloss die Lider, als könne sie damit das Unfassbare ungeschehen machen.
    Nach ihrer Transformation hatte sie, so wie es ihr Recht und ihre Pflicht als jüngste weibliche Vertreterin der Familie war, den «Blutkristall» zur Verwahrung erhalten. Er befand sich seit langer Zeit im Besitz der Causantíns und galt als Garant für ihrer aller Sicherheit und Wohlergehen. Das jedenfalls war es, was ihre Mutter immer wieder gesagt hatte. Der blutrote Rubin wäre schon allein wegen seiner Größe und des makellosen sechsstrahligen Sterns, der dem Kristall ein ganz spezielles Feuer verlieh, unermesslich wertvoll gewesen. Doch das Besondere an ihm machten weder der meisterhafte Schliff noch die ungewöhnliche Transparenz aus. Es war die ihm innewohnende Magie, die ihn unersetzlich machte. Alte Aufzeichnungen berichteten davon, wie die Lieblingstaube der Liebesgöttin sich aus Gram in einen Dornbusch gestürzt hatte, weil sie die Entzweiung der Kinder des Lichts und der Dunkelheit, der Feen und Vampire also, nicht ertragen konnte. Ihr Herz sei dabei unverletzt geblieben und zu einem kostbaren Juwel geworden. Dieses wiederum habe die Göttin einer ihrer Kriegerinnen als Zeichen besonderer Zuneigung geschenkt, hieß es weiter.
    Kaum ein Wesen, sterblich oder nicht,
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