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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall
Autoren: Jeanine Krock
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sich weiter lautlos Stufe für Stufe abwärts. Ihre zarten Nasenflügel blähten sich, während sie unaufhörlich die Luft einsog und dabei verschiedene Gerüche wahrnahm: Bohnerwachs, das die Stufen des Treppenhauses gefährlich glänzen ließ, eine Spur Chanel Nr. 5 hing in der Luft, eine ihrer Mitarbeiterinnen bediente sich stets großzügig an ihrer Parfümflasche. Kürzlich hatte jemand offenbar das Rauchverbot im Haus ignoriert, und deutlich nahm sie den Geruch von Lilien wahr, die eine Etage tiefer die Räume ihrer Agentur schmückten. Doch über alledem lag der köstlichste aller Düfte. Ihre Haut spannte sich über harten Gesichtszügen. Anstelle der frischen Weiblichkeit sah man nun dunkle Schatten Viviannes ohnehin hohe Wangenknochen deutlicher modellieren, die vollen Lippen schienen aus blutgetränktem Marmor geformt zu sein, und wäre da nicht der nervöse Puls an ihrer Kehle gewesen, jeder sterbliche Beobachter hätte sie zu Recht für eine dämonische Erscheinung gehalten. Eiskalt berechnend schienen ihre Augen in der Dunkelheit zu glitzern. Doch Vivianne war alles andere als kalt. Sie witterte Blut, und es war frisch. Als ihre Reißzähne auf den Reiz reagierten, zählte sie lautlos bis drei, um ihre Konzentration wiederherzustellen. Es gelang. Völlig geräuschlos glitt sie anschließend durch die Tür in ihre Wohnung – und hätte vor Überraschung beinahe aufgeschrien. Die Szene vor ihr war von erregender Intensität. Vivianne zögerte nicht. Sie stürzte sich auf den Einbrecher, der sich mitten im Raum, in einer schnell größer werdenden Blutlache kniend, über eine Frau beugte. Der Mann aus den Katakomben! Vivianne versuchte, ihn von seinem leblosen Opfer wegzuziehen. Als sie ihn aber berührte, schoss eine gewaltige Energie durch ihren Körper. Etwas Derartiges hatte sie noch niemals zuvor erlebt. Die Zeit blieb stehen, als auch der Eindringling für Sekunden erstarrte, bevor er dann allerdings höchst effizient ihren Angriff abwehrte, als wäre sie nicht mehr als ein lästiges Insekt. Kein Sterblicher wäre zu so etwas in der Lage gewesen.
    «Au!» Vivianne rappelte sich auf. «Lass sie los!»
    Mit einer fließenden Bewegung, die sie zu einem günstigeren Zeitpunkt sicherlich bewundert hätte, erhob er sich, die blutüberströmte Frau im Arm. Vivianne sah, wie seine Nasenflügel vibrierten, die Haut spannte sich über den länger werdenden Reißzähnen. Sein Hunger war beinahe greifbar. Sie brauchte keinen weiteren Beweis, um zu wissen, dass sie es tatsächlich mit einem Vampir zu tun hatte, der zwar geschickt genug gewesen war, seine Identität im Club zu verschleiern, der aber, wie Cyron bereits angedeutet hatte, seine Blutlust nicht im Griff zu haben schien. Eine tickende Zeitbombe – und Vivianne wusste Besseres, als ihn zu provozieren. Um ihre eigenen mentalen Schutzschilde machte sie sich keine Sorgen. Die würden halten, doch auch der Eindringling war nicht zu lesen.
    «Vergiss es!», grollte er, als habe er ihren Versuch, seine Gedanken zu ergründen, gespürt.
    Und während sie noch darüber nachdachte, dass seine Stimme viel tiefer klang, als sie sich diese vorhin im Club vorgestellt hatte, geschah eine bemerkenswerte Veränderung. Er wirkte auf einmal wie die Stille selbst. Auch von der Blutgier war nun nicht mehr als eine Erinnerung geblieben. Sein Wesen wirkte so undurchsichtig wie ein dunkler Moorsee, und die ruhige Gelassenheit, die er zur Schau stellte, führte dazu, dass sich Vivianne nervös und unsicher fühlte. Die Vorstellung, sich in diesem Augenblick, aber nur für Sekunden, im zeit- und dimensionslosen Auge eines Wirbelsturms zu befinden, erregte sie aber auch. Was kam als Nächstes? Gefährliche Männer hatten sie schon immer magisch angezogen, dieser war noch dazu zum Niederknien sexy und – auch aus der Nähe betrachtet – überhaupt nicht ihr Typ. Abgesehen vielleicht von den bernsteinfarbenen Augen, in deren Tiefe sich vermutlich jede Frau hätte verlieren können.
    «Was hast du hier zu suchen?» Seine Worte klangen streng, und ihre Verzauberung machte heißem Ärger Platz.
    «Entschuldigung?», sie stemmte die Arme in die Taille und funkelte ihn an. «Was auch immer du hier machst, dies ist meine Wohnung!» Obwohl es in ihr brodelte, stieß sie ihre Worte scharf hervor. Ohne seine Antwort abzuwarten, fügte Vivianne hinzu: «Leg sie dorthin.» Denn während sie den Fremden mit offenem Mund angehimmelt hatte, war das Leben fast vollständig aus dem Körper der
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