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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall
Autoren: Jeanine Krock
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hatte den Blutkristall jemals zu Gesicht bekommen. Doch viele wussten von seiner magischen Kraft, und nicht wenige hatten im Lauf der Jahrhunderte versucht, in seinen Besitz zu gelangen. Denn es hieß, wer ihn in seinen Händen halte, stehe unter seinem besonderen Schutz. Und dies war nur eine der wundersamen Fähigkeiten, die ihm zugeschrieben wurden. Doch im Lauf der Zeit hatte sich gezeigt, dass der Stein seine eigene Agenda besaß und nicht so einfach zu erbeuten war. So hatte er sich lange im Besitz der Feen befunden, bevor er bei Viviannes Familie gelandet war. Völlig rechtmäßig übrigens, wie der Rat nach der empörten Beschwerde des Hofes der Lichtelfen befand. Wer immer ihn heute gestohlen hatte, kannte auch sein Geheimnis.
    Vivianne spürte, wie der Fremde sie vom Boden aufhob und wenig später nicht besonders sanft auf ihr Bett fallen ließ. Der Vampir – natürlich. Wie hatte sie ihn vergessen können? Die Schonzeit war vorbei, glaubte sie in seinem prüfenden Blick zu lesen. Ihm schien nichts zu entgehen: ihre Kleidung aus einem der besten Ateliers der Stadt, ihre blasse, jetzt nahezu transparente Haut und der schlichte Schmuck, dem nur Fachleute seinen ungeheuren Wert ansahen. Er gehörte offenbar zu ihnen. Seine Lippen kräuselten sich kaum merklich, und diese winzige Bewegung verriet ihr mehr, als sie wissen wollte.
    Er kannte ihren Ruf, und seine Worte bestätigten gleich darauf, was sie befürchtet hatte: «Da haben wir also die berühmte – Vivianne Cirta. Wo sind deine ... Beschützer?» Der Vampir trat einen Schritt zurück, als wolle er jetzt jeden weiteren Kontakt vermeiden.
    Was er nicht ahnen konnte: Ihre Brüder waren die Letzten, die sie jetzt zu sehen wünschte. Und diese Information würde sie auch gewiss nicht mit ihm teilen. Als sie den Mund zu einer Gegenfrage öffnete, um endlich herauszufinden, wer ihr ungebetener Gast war, klopfte es an der Scheibe. Dankbar für diese Störung riss sie das Fenster auf und Nabrah kam herein. «Ich will diese anheimelnde, häusliche Szene ja nicht stören, aber wir haben hier ein Problem!»
    Sein mokanter Ton war genau, was sie brauchte. Vivianne fiel sofort in ihre übliche Routine und fauchte den Vogel an: «Geh von meiner Lampe runter, du bist zu schwer!»
    «Ist das deine einzige Sorge?» Lachen erklang in ihrem Kopf. Hast du mich vermisst?
    «Natürlich nicht!» So recht wollte sich der Ärger über seinen frechen Schnabel dieses Mal nicht einstellen.
    Nabrah fuhr sich mit dem Schnabel durchs Gefieder. Wer ist der Kerl? Muss ich eifersüchtig werden?
    Der Vampir stand plötzlich ganz dicht neben Vivianne, fast so, als wolle er sie beschützen. «Ich bin Morgan.»
    Der Vogel und Vivianne fragten gleichzeitig: «Morgen?» Sie spürte, wie ein hysterischer Lachkrampf sich seinen Weg hinauf in ihre Kehle zu bahnen begann, und gegen seinen Willen musste der Vampir ebenfalls lächeln. Wo war er hier nur hineingeraten? Ein sprechender Rabe, von dem man nicht sagen konnte, wer oder was in ihm steckte, und eine Novizin mit Tonnen von Make-up im Gesicht, verweinten Augen und einem sinnlichen Mund, wie er ihn seit Ewigkeiten nicht mehr geküsst hatte. Morgan rief sich zur Ordnung und sein Gesichtsausdruck wurde grimmig. «Ich wäre sehr dankbar zu erfahren, was hier eigentlich los ist.»
    Bevor Vivianne etwas entgegnen konnte, fragte Nabrah: Mit welchem Recht will er das wissen? Der Vampir fauchte und machte einen Schritt auf ihn zu, bevor er abrupt stehen blieb. Was immer er hatte sagen wollen, blieb unausgesprochen. Nabrah krächzte und flog auf eine Stuhllehne.
    «Lass gut sein!» Vivianne erkannte den Hunger in Morgans Gesicht, und sie wusste Besseres, als ihn zu provozieren. Der Blutgeruch, der aus dem Wohnzimmer herüberwehte, machte sie ebenfalls nervös, und dabei hatte sie heute bereits mehr als ihre übliche Tagesration getrunken. Sie stand auf und ging zum Kühlschrank. Dann drehte sie sich blitzschnell um und warf dem Vampir eine Flasche zu. Seine Reflexe waren ausgezeichnet. Seine Manieren weniger, aber er murmelte immerhin einen Dank, bevor er den Korken mit seinen Zähnen herauszog und gierig trank.
    Vivianne schenkte sich den Rest ihres B-positiv ein, setzte sich auf die vordere Kante eines Stuhls und sah Nabrah erwartungsvoll an.
    Er schüttelte sein Gefieder und begann dann zu erzählen: «Ich war auf dem Dach und habe ein bisschen den Mond angesehen ... Was?», fragte er, als Morgan einen ungläubigen Laut von sich gab. «Darf ein
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