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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch
Autoren: M.j. Rose
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bewältigen zu können.
    Rebecca, die neben ihr stand, seufzte, und als Meer sich zu ihr umdrehte, da sah sie auf ihrem Gesicht Tränen und einen Ausdruck ungläubigen Staunens. Das Chorlied ging zu Ende, der Kaddisch war gesungen. Stille trat ein. Nicolas, nunmehr genauso stumm wie alle anderen, hockte an seinem Tisch und betrachtete seine Zeichnung. Das leiernde, rhythmische Summen, das unaufhörliche Hin und Her, das hektische Malen – all das war vorbei. Er saß mucksmäuschenstill da.
    Seine Mutter ging zu ihm und ließ sich neben ihm auf die Knie nieder. “Nicolas?”, flüsterte sie.
    Der Junge wandte sich ihr zu und sah sie an. In seinen zuvor immer so leblosen Augen stand ein verwirrter, gleichzeitig lebhafter Ausdruck. Er war nicht mehr das von sich selber und aller Welt losgelöste Kind. Freilich, er wirkte noch blass und angegriffen und brauchte auch weiterhin Hilfe, aber er nahm jetzt zum ersten Mal seit Langem seine Umgebung wahr. Und als seine Mutter ihn zärtlich in die Arme nahm, da erwiderte er ihre Umarmung.
    Über den Kopf ihres Jungen hinweg blickte die Ärztin zu Meer hinüber. “Haben Sie Kinder?”, fragte sie.
    “Nein.”
    “Dann können Sie nicht ermessen, wie zutiefst dankbar ich Ihnen bin.”
    Meer fragte sich, ob der Junge sich später einmal daran würde erinnern können. Was würde er wohl, wenn er älter sein würde, etwa in ihrem Alter, über diese vergangenen sechs Monate sagen? Wie sie erklären, falls man ihn fragte? Würde er sich dann wohl noch der heutigen Schwingungen in seinem Körper, seinem Blut, seinen Knochen entsinnen?
    Ihr Vater hätte es geliebt, das mitzuerleben, was seine Tochter heute erfahren hatte. Er hätte es wahrscheinlich mit allerlei Theorien über die Widerstandsfähigkeit des menschlichen Geistes und der menschlichen Seele erklärt. Sicher hätte er das alles mit seinen Gedanken über binaurale Takte in Verbindung gebracht und mit Pythagoras’ Lehrsätzen über Wiedergeburt und Mathematik, über Zahlen, Töne und Zeitenkreise. Mit seinem unverwüstlichen Optimismus hätte ihr Vater all dies als Beleg für das angeführt, was er seiner Tochter schon immer über ihre eigene Vergangenheit und Zukunft hatte beibringen wollen.
    “Siehst du, wie einfach es ist?” , hörte sie ihn sagen. “Du brauchst dich nur dem Kosmos zu öffnen, wenn er sich dir offenbart, musst ihn bloß betrachten in all seinen rätselhaften Dimensionen. Ohne Vorbehalte und ohne Vorbedingungen. Auf dich, Liebes, wartet Musik, die du noch komponieren musst. Es fehlte bisher allein der Schlüssel, der Zugang zu dieser Musik. Dieser Schlüssel ist das Wunder der Welt. All die Lieder, an die du dich nicht erinnern und die du doch nie vergessen konntest? Jetzt wirst du sie finden.”
    – ENDE –

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