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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch
Autoren: M.j. Rose
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und verzeihe ihr das, was sie mit dem kostbaren Instrument gemacht hatte. Nur … eines erschien ihr dabei nicht ganz logisch. “Sagen Sie, Rabbi, wann hat er das Testament denn geschrieben?”
    “Vor etwa zehn Jahren.”
    “Haben Sie es bezeugt?”
    “Allerdings.”
    “Wurde es in letzter Zeit denn noch abgeändert?”
    “Nein, es handelt sich um das Original. Wieso fragen Sie?”
    “Aber wie hätte mein Vater denn vor zehn Jahren von der Flöte wissen können? Die Gesellschaft ging doch bisher davon aus, dass Beethoven sie im Jahre 1814 unbrauchbar gemacht hat! Mein Vater hat den Brief in der Spielekassette erst vor zwei Wochen gefunden! Erst da kam doch der Gedanke auf, dass die Flöte noch existieren könnte.”
    Darauf wusste auch der Rabbi keine Antwort. “Das ist mir genauso ein Rätsel.”
    “Und Sie sind sicher, er hat das dem Testament in den vergangenen Wochen nicht hinzugefügt?”
    “Absolut”, bekräftigte der Rabbi freundlich. “Es war das Original.”
    Meer schüttelte ungläubig den Kopf.
    “Damit haben Sie nicht gerechnet, nicht wahr?”
    “Nein.”
    “Tja, so ist das mit dem Glauben”, betonte der Rabbi Tischenkel mit einem unergründlichen Schmunzeln. “Wenn man ihn akzeptiert, dann mit allen Konsequenzen. Die Kabbala lehrt: Wenn wir zu Lebzeiten unsere Bestimmung nicht erfüllt haben, müssen wir in einem anderen Leben weitermachen … bis wir einen Status erreicht haben, der unserer Wiedervereinigung mit Gott entspricht. Vielleicht stecken in dieser Asche ihres Vaters ja mehrere Leben.” Er übergab ihr die Urne. “Ich sage Ihnen Bescheid, wenn es so weit ist. Dann können Sie die eine Hälfte ins Grab geben.”
    Kaum hielt Meer die Urne in den Händen, überlief sie ein Frösteln. Ein kalter Hauch umfing sie. Zu sehr von Trauer übermannt, zu verwirrt und zu erschöpft, um noch dagegen anzukämpfen, ergab sie sich dem eisigen Nebel.

109. KAPITEL
    T al des Indus, Indien – 2120 vor Christus
    Ohana war nie allein in der Werkstatt gewesen; immer nur zusammen mit Devadas. Tagsüber war sie der Ort, an dem er und sein Bruder ihre Instrumente fertigten. Am Abend diente sie dann den beiden Liebenden als Treffpunkt. Rasul, Devadas’ Bruder, war der Einzige, der von dem Verhältnis gewusst hatte. Weder hatte er die beiden deswegen zur Rede gestellt noch sie verurteilt.
    Auch jetzt hieß er Ohana willkommen, räumte ihr einen Schemel frei und hörte ihr zu. In Tränen aufgelöst und herzzerreißend schluchzend berichtete sie ihm, was sie getan hatte, und zeigte ihm den Knochen.
    Als sie endete, strich ihr Rasul beruhigend übers Haar, reinigte ihr das Gesicht mit frischem Brunnenwasser und hieß sie ein dickflüssiges Gemisch aus Honig und Kräutern trinken. Als sie dann allmählich von Müdigkeit übermannt wurde, wies Rasul auf die Strohmatte in einem Winkel der Werkstatt – dieselbe Matte, auf der sie so viele Male mit ihrem Liebsten gelegen hatte. Sie schlief ein.
    Geraume Zeit später wurde sie von einer fremdartigen Weise aufgeweckt. Aufgrund häufiger Teilnahme an rituellen Handlungen kannte Ohana die Klänge der unterschiedlichen Instrumente; die Kasht Tarang hallte hölzern und dumpf, die Manjira hell wie Glockenklang, die Bins hohl wie Schilfrohr. Die traurigen Laute aber, die nunmehr an ihr Ohr drangen, die waren anders. Im Winde schwingend, hüllten sie Ohana ein und riefen ihr den Liebsten so deutlich ins Gedächtnis zurück, als ruhe er direkt neben ihr.
    Plötzlich brach die Melodie ab.
    Ohana schlug die Augen auf. Umgeben von Werkzeugschränkchen, Regalen mit allerlei Zubehör, von Tischen voller halb fertiger Musikinstrumente saß Rasul vor seiner Werkbank, andächtig in die Arbeit vertieft.
    Sie sah, wie er ein scharfes, spitzes Werkzeug ins Feuer legte und wartete, bis es glühend heiß war. Dann widmete er sich jenen kunstvollen Verzierungen, für die er berühmt war und deretwegen Musikanten von nah und fern seine Flöten und Trommeln erwarben.
    Sorgfältig vollendete er eine Schleife, legte das Graviereisen beiseite, begutachtete sein Werk und führte die Flöte an die Lippen, beinahe wie bei einem zärtlichen Kuss. Ein tiefer, klagender Ton entwich dem Instrument und wandelte sich zu einem vollen, schwingenden Klang, rein und klar wie Quellwasser oder wie Sternenlicht, vergeistigt wie aus einer anderen Welt. Wie verzaubert saß Ohana auf ihrer Matte, und während sie noch lauschte, veränderte sich der Ton, wurde zu einem verschwommenen Singsang, als summe
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