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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens
Autoren: Christian Jacq
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hätte zu fliehen, wäre das ja doch nur ein Schuldeingeständnis gewesen. Entscheidend war jetzt, dass er den Mann irgendwie von seiner Glaubwürdigkeit überzeugte.
    Kaum hatten die Kinder den Fremden entdeckt, als sie ihn auch schon umringten.
    »Das ist sicher ein Bandit!«, rief eins von ihnen. »Der Schäfer hat ihn gefangen, nicht übel, dafür willst du bestimmt eine schöne Belohnung!«
    Der Angesprochene hob seinen Stock, um die Kinderschar zu vertreiben, die sich aber nicht abschütteln ließ. Und so erschien der ganze Aufzug in einem Konzert aus Gelächter und Gekreisch vor dem Haus des Dorfvorstehers.
    »Was ist denn hier los?«, fragte der.
    »Ich hab diesen Burschen in der Wüste aufgestöbert«, erklärte der Schäfer. »Weil er die Hände auf dem Rücken gefesselt hatte, war ich misstrauisch. Dafür krieg ich doch eine Belohnung, oder?«
    »Das sehen wir später. Du da, komm ins Haus.«
    Iker gehorchte.
    Rücksichtslos stieß ihn der Dorfvorsteher in einen Raum, in dem ein magerer Mann mit einem Knüppel saß.
    »Du kommst gerade recht! Ich habe eben ein Gespräch mit diesem Wachmann. Wie heißt du?«
    »Iker.«
    »Und wer hat dich gefesselt?«, fragte er weiter.
    »Seeleute, die mich von einer einsamen Insel mitgenommen haben und mich dann nicht weit von hier, mitten in der Wüste, zurückließen, damit ich verdurste.«
    »Hör sofort mit diesem Geschwätz auf! Ich schätze, du bist ein kleiner Dieb, der sich seiner gerechten Strafe entziehen will. Was hast du denn geklaut, sag schon?«
    »Nichts, ich schwöre es«, wehrte sich Iker.
    »Eine ordentliche Tracht Prügel wird deinem Gedächtnis sicher auf die Sprünge helfen.«
    »Wir könnten uns seine Geschichte doch wenigstens anhören«, wandte der Wachmann ein.
    »Bitte, wenn Ihr so viel Zeit übrig habt… Dann übernehmt Ihr aber auch diese Angelegenheit. Ich muss mich jetzt um meine Kornkammern kümmern. Und ehe Ihr diesen kleinen Banditen mitnehmt, möchte ich einen Bericht – nur der Form halber.«
    »Ja, natürlich.«
    Iker rechnete damit, dass er gleich den Knüppel zu spüren bekäme, doch er konnte schließlich nichts anderes als die Wahrheit sagen.
    »Ich will Einzelheiten wissen«, verlangte der Wachmann.
    »Wozu denn, Ihr glaubt mir ja doch nicht?«
    »Woher willst du das denn wissen? Ich sehe sofort, ob einer lügt. Wenn du ehrlich bist, hast du nichts zu befürchten.«
    Unsicher berichtete Iker von seinem Missgeschick, wobei er den Traum unerwähnt ließ, in dem ihm die große Schlange erschienen war.
    Der Wachmann hörte ihm aufmerksam zu. »Du warst also der einzige Überlebende, und diese Insel ist in den Fluten verschwunden?«, fragte er noch einmal nach.
    »Ja, so ist es.«
    »Und deine Lebensretter haben diese Truhen behalten?«
    »Ja.«
    »Wie hieß ihr Schiff?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Iker.
    »Und ihr Kapitän?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    Als er sich antworten hörte, wurde Iker klar, dass seine Geschichte weder Hand noch Fuß hatte. Kein vernünftiger Mensch würde sie ihm glauben.
    »Wo kommst du her?«, fragte ihn der Wachmann.
    »Aus der Gegend von Medamud.«
    »Hast du da Familie?«
    »Nein. Ich bin Waise. Ein alter Schreiber hat mich bei sich aufgenommen, und ich bin bei ihm in die Lehre gegangen.«
    »Du behauptest also, dass du lesen und schreiben kannst«, sagte der Wachmann. »Das will ich sehen.«
    Er gab dem Gefangenen ein Holztablett und einen Pinsel, den er in schwarze Tinte getaucht hatte.
    »Meine Hände sind gefesselt«, erinnerte ihn Iker.
    »Ich binde dich los. Aber vergiss nicht – ich weiß, wie man mit einem Knüppel umgeht«, warnte ihn der Wachmann.
    »Ich heiße Iker und habe nichts verbrochen«, schrieb Iker in schöner Schrift auf die Tafel.
    »Einwandfrei«, meinte der Wachmann. »Du bist also tatsächlich kein Lügner.«
    »Ihr… Glaubt Ihr mir etwa?«
    »Aber natürlich, was denkst denn du? Ich habe dir doch gesagt, dass ich aufrichtige Leute sehr gut von Märchenerzählern unterscheiden kann.«
    »Dann… Dann bin ich also frei?«, fragte Iker ungläubig.
    »Geh nach Hause und schätze dich glücklich, dass du all diese Abenteuer überlebt hast.«
    »Werdet Ihr denn die Piraten festnehmen, die mich umbringen wollten?«
    »Wir werden uns um sie kümmern, keine Sorge«, gab ihm der Wachmann zur Antwort.
    Iker wagte es nicht, den Raum zu verlassen. Der Wachmann begann, seinen Bericht zu schreiben.
    »Was ist los, worauf wartest du noch?«, fragte er ungeduldig.
    »Ich habe
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