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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens
Autoren: Christian Jacq
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Sesostris III. bestieg den Pharaonen-Thron etwa 1878 vor Christus.)
    In den ersten fünf Jahren seiner Regierungszeit war es Sesostris trotz seiner unbestrittenen Autorität nicht gelungen, sich mit allen Provinzfürsten zu verbünden. Einige von ihnen waren so reich, dass sie sich Armeen leisten und auf ihrem Gebiet wie wahre Souveräne aufführen konnten.
    Sobek befürchtete ein Eingreifen dieser alten Haudegen. Musste ihnen Sesostris nicht wie ein Störenfried vorkommen, der früher oder später ihre Unabhängigkeit bedrohen würde? Zwar war die Reise des Königs nach Abydos, diesem heiligen Boden, der keine wirtschaftliche Bedeutung hatte, geheim gehalten worden. Aber konnte man im Palast von Memphis überhaupt ein Geheimnis hüten? Weil Sobek vom Gegenteil überzeugt war, hatte er dem König diese Reise auszureden versucht – vergeblich.
    »Habt ihr etwas zu melden?«, fragte er seine Leute.
    »Nein, Herr, nichts«, antwortete ihm einer nach dem anderen.
    »Alles ist menschenleer, und nichts ist zu hören.«
    »Was nicht ungewöhnlich ist für das Reich des Osiris«, meinte Sobek der Beschützer. »Nehmt strategisch günstige Stellungen ein und schneidet jedem, der sich nähern will, den Weg ab.«
    »Auch, wenn es sich um einen Priester handelt?«, wurde er gefragt.
    »Ihr macht keine Ausnahmen.«
     
     
    Das Territorium, das Osiris vorbehalten war, dem Gott, der das Geheimnis der Auferstehung bewahrte, hieß nach alter Überlieferung »Das Große Land«. Als erster Souverän von Ägypten hatte er das Fundament des Pharaonentums gelegt. Weil er ermordet wurde, aber über den Tod gesiegt hatte, herrschte er von da an über die »Gerechten«. Nur durch die Feier seiner Mysterien übertrugen sich auf seinen Erben, den Pharao, seine übernatürliche Größe und die Fähigkeit, Verbindung zu den Schöpfungskräften herzustellen und zu halten. Sollten die Riten des Osiris nicht mehr gefeiert werden, würde Ägypten zugrunde gehen.
    Einige fruchtbare Felder, auf denen die besten Zwiebeln des Landes gediehen, ein paar bescheidene Häuser am Ufer eines Kanals, die von einer langen, steilen Bergwand begrenzte Wüste, ein großer, von Bäumen umgebener See, ein Akazienwald, ein kleiner Tempel, Stelen, Gräber der ersten Pharaonen und das Grab des Osiris – so sah Abydos aus, ein Ort fern von Zeit und Geschichte.
    Hier befanden sich die Insel der Gerechten und das Tor zum Himmel, das die Sterne bewachten.
    Sesostris betrat den kleinen Saal, wo er bereits von den ständigen Priestern erwartet wurde. Alle erhoben sich und verneigten sich vor ihm.
    »Wir danken Euch, dass Ihr so schnell gekommen seid, Majestät«, sagte der Oberpriester, ein alter Mann mit bedächtiger Stimme.
    »In deinem Brief sprichst du von einem großen Unglück«, begann der Pharao.
    »Ihr solltet Euch am besten selbst davon überzeugen.«
    Als der Oberpriester und der Pharao den Tempel verließen, wollten sie Sobek und einer seiner Untergebenen begleiten.
    »Ausgeschlossen«, wandte der Priester ein. »Den Ort, an den wir gehen, darf kein Weltlicher betreten.«
    »Es ist aber sehr gefährlich, wenn…«, widersetzte sich Sobek.
    »Niemand darf die Gesetze von Abydos verletzen«, schnitt ihm Sesostris das Wort ab.
    Der König nahm die goldenen Armreifen ab, die er am Handgelenk trug, und vertraute sie Sobek an. Wollte man das heilige Reich von Osiris betreten, musste man alles Metall ablegen.
    Zutiefst besorgt sah der Leibwächter zu, wie sich die beiden Männer entfernten. Sie gingen am baumumstandenen See des Lebens entlang und folgten einem Weg, der durch Stelen und Kapellen führte, um zu dem heiligen Wald von Peker zu gelangen, dem geheimen Lebensmittelpunkt des Landes.
    Mitten in diesem Wald stand eine Akazie.
    Als dieser Baum auf dem Grab von Osiris zu wachsen begann, hatte dieser seinen treuen Anhängern verkündet, dass der Herrscher der Gerechten auferstanden war.
    Sofort erfasste Sesostris das ganze Ausmaß der Katastrophe: Der Baum war dabei abzusterben.
    »Wenn Osiris wiedergeboren wird, entfalten sich die Blätter der Akazie und das Land blüht auf und gedeiht«, erinnerte der Oberpriester. »Doch Seth, der Mörder und Unruhestifter, will ihn für immer vertrocknen lassen. Dann lässt das Leben die Lebewesen im Stich. Wenn die Akazie stirbt, übernehmen Gewalt, Hass und Zerstörung die Herrschaft über die Erde.«
    Durch seine Anwesenheit in diesem Baum vereinigte Osiris Himmel, Erde und Unterwelt. In ihm verschmolzen Leben und Tod zu
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