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Der Bär

Der Bär

Titel: Der Bär
Autoren: Jacques Berndorf
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ein großes Gebüsch.«
    »Uhrzeit?«, fragte Emma sachlich.
    »Es muss nachts gewesen sein. Die Uhrzeit habe ich nicht.«
    »Wer wurde denn getötet?«, fragte Rodenstock. Er hatte ein Blatt Papier vor sich und einen Kugelschreiber in der Hand. Er machte sich eine Notiz.
    »Ein Mann. Seinen Namen habe ich nicht. Alter ungefähr dreißig. Die preußische Gendarmerie in Gerolstein wurde am Morgen über einen Vorfall, bei dem ein Unbekannter sein Leben gelassen haben soll, verständigt. Sie zog mit zwei Gendarmen, einem Arzt und einem Einzelrichter aus. Ich habe alle Namen.«
    »Warum soll jemand namens Schmitz den Namenlosen getötet haben?«, hakte Rodenstock nach. Ein paar Dinge hatte ich wohl beim Kaffeeholen verpasst.
    »Weil an dieser Stelle auf Rockeskyll zu ein Bauer namens Schmitz ein Kartoffelfeld hatte. Und vier Tage später war Schmitz mitsamt seiner Familie verschwunden. Ausgewandert nach den USA. Mit einem Motorsegler namens Memphis, der hundertdreiundvierzig Auswanderer an Bord hatte. Schmitz und seine ganze Familie, Frau und acht Kinder, waren darunter.«
    »Warum soll dieser Schmitz, der an der Stelle ein Kartoffelfeld hatte, diesen Mann ermordet haben?«, fragte Emma. Sie rauchte einen dieser widerlich stinkenden holländischen Zigarillos.
    »Weil der wahrscheinlich der einzige Mensch weit und breit war, der über Bargeld verfügte«, entgegnete sie rasch und weidete sich an unserer Verblüffung.
    »Wieso denn das?«, fragte Rodenstock und machte sich wieder eine Notiz.
    »Ich vermute, das war ein Händler. Die zogen mit Körben oder Pfannen und Töpfen, mit Hausrat eben, durch die Gegend.«
    »Viel zu schnell«, sagte Emma. »Das geht mir alles viel zu schnell. Sie sagten, dass ein Bauer die Gendarmerie in Gerolstein benachrichtigte. Frühmorgens wahrscheinlich, oder?«
    »Das ist korrekt.«
    »Daraufhin zogen zwei Gendarmen, ein Richter und ein Arzt aus Gerolstein an den Tatort. Ich nehme an, Sie haben das Protokoll des Tatortes.«
    »Das habe ich. Es ist Bestandteil einer alten Akte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Wir waren vor vierzehn Tagen dort, Ingbert und ich.«
    »In dem Protokoll muss aber doch stehen, wer das Opfer war, oder zumindest, wer das Opfer denn gewesen sein könnte.« Rodenstock war aus irgendeinem Grunde sauer. Er setzte scharf nach: »Wie kommen Sie zu der Annahme, dass das Opfer ein Händler war?«
    »Ganz einfach. Die Beamten fanden am Tatort einen zweirädrigen Karren mit einer Art Plane darüber. So sahen diese Verkaufskarren damals aus.«
    »Wer zog den Karren denn?«, fragte ich. »Etwa ein Pferd?«
    »Selbstverständlich«, sagte sie leicht säuerlich. Sie war offensichtlich empört, dass wir sie so krass ins Gebet nahmen. »Was soll es denn sonst gewesen sein?«
    Rodenstock sah mich lächelnd an, dann zwinkerte er Emma zu. »Nun, damals war ein Pferd immer noch das Privileg des Adels und der reichen Bürger. Diese wandernden Verkäufer hatten meist einen Esel oder ein Maultier, manchmal einen Ochsen. Die waren genügsamer und entschieden billiger. Wahrscheinlich steht im Protokoll Zugtier oder so etwas, nehme ich an.«
    »Das steht da«, nickte sie mit schmalen Lippen.
    »Wird bei dem Opfer eine Heimatgemeinde angegeben?«, fragte Rodenstock.
    »Nein«, sagte Ingbert ganz ernst. »Und genau das macht mich stutzig.«
    »Wieso denn?«, fragte Emma freundlich.
    Ingbert sah seine Tessa an, aber die sah gänzlich desinteressiert zu meiner Gartenmauer hinüber. Da schwelte ein Konflikt.
    »Es ist so«, sagte Ingbert und wurde zusehends munterer. »Gerolstein lag in den preußischen Landen. Die hatten eine sehr straffe Verwaltung, die waren geradezu berühmt für ihre Beamtenschaft. Nehmen wir an, der Händler war das, wofür Tessa ihn hält: Also ein durchaus seriöser, durch die Eifel ziehender Händler. Dann hätte er zumindest nach damaligem Verwaltungsrecht eine Kennkarte gehabt, einen behördlichen Eintrag, wo er zu Hause ist, wie er heißt, woher er kommt.« Er sah Emma an. »Stimmen Sie mir zu?«
    Sie nickte. »Das denke ich auch. Angenommen, er war kein solcher Händler, wer kann er Ihrer Meinung nach gewesen sein?«
    »Ein Roma«, sagte Ingbert einfach. »Ein Zigeuner.«
    »Unmöglich«, mischte sich Tessa scharf ein, und der Zorn machte sie noch hübscher. »Roma konnten sich in der Eifel noch nie sehen lassen. Sie wurden immer weggejagt.«
    »Eben nicht immer«, widersprach ihr Ingbert sanft. »Es gab unter ihnen Leute, die sogar sehr beliebt
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