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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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Bilder und Fotografien an den Wänden, ein Waschtisch aus Metall mit einer Emaille-Schüssel, einem Eimer und einem Wasserkrug in der Ecke, ein Plattenspieler, Schallplatten. Alles in allem ein weiteres versteinertes Denkmal und nichts anderes.
    Dann stellte ich mich neben das Fenster und wartete. Sie kamen pünktlich. Ich beobachtete sie, wie sie auf dem gepflasterten Pfad auf das Haus zukamen. Gärtner hätte ich ohne Fraktalfrau kaum erkannt. Er hat ein derart gewöhnliches Gesicht, dass man es vergisst, sobald er außer Sichtweite ist. Ein Gesicht ohne Besonderheiten, an denen man sich festhalten kann. Ich brauchte immer einige Augenblicke, um ihn zu erkennen, wenn ich ihn früher zufällig auf der Straße traf. Ein Gesicht, das perfekt ist für einen Kriminellen oder einen Spion. Was findet sie nur an ihm, fragte ich mich, während ich sie beobachtete. Egal, was es ist, es ist nicht mehr mein Problem, falls es das je war.
    Fraktalfrau blickte einen Moment lang zum Fenster, an dem ich stand, doch sie konnte nur die Spiegelungen der Dächer und des Himmels sehen, aber nicht mich. Später hörte ich sie die Holzstufen heraufkommen, und dann stieg ich über die Kordel, die den Eingang zum Arbeitszimmer versperrte, und versteckte mich hinter der Tür. Sie würden nicht ins Arbeitszimmer kommen, es ging ja nicht um eine Entführung, die eine solche Maßnahme hätte erforderlich machen können, sondern es ging um eine Begegnung unter Freunden, nicht wahr? Sie liefen schnell durch die Räume, ich hörte, wie sie sich unterhielten. Dann gingen sie durch die Tür, hinter der ich mich versteckte, ich hätte sie berühren können, wäre ich einen Schritt vorgetreten und hätte meinen Arm ausgestreckt. Was empfand ich, als ich sie hörte? Nichts. Der Gedanken an den toten Machado bewegte mich mehr als ihre Anwesenheit. Wenn du die Toten spürst, dann leben sie. Wenn du die Lebenden nicht spürst, dann sind sie tot. Warum wollte sie nur, dass wir uns treffen? Selbst wenn wir einander zufällig etwas zu sagen gehabt hätten, wir hätten es per E-Mail, Handy oder voice mail tun können. All das ist erfunden worden, um Informationen auszutauschen. Wir beide hatten nichts anderes auszutauschen außer bloße Informationen. Das war vorbei.
    Nach ihnen gingen einige ältere Touristen durch die Räume, ohne sich länger aufzuhalten. Die Museumsangestellte kam auf die erste Etage, sie war beunruhigt.
    Ist alles in Ordnung?, fragte sie.
    Ich stand wieder neben dem Fenster und blickte auf den Hof.
    Ich bin kein Dieb, ich fühle mich nur wohl hier, sagte ich. Darf man sich hier nur eine begrenzte Zeit lang aufhalten?
    Natürlich nicht, lachte sie, doch nur die Wenigsten bleiben so lange, die meisten laufen nur einmal durch.
    Dann sah ich sie wieder. Sie unterhielten sich und liefen den gepflasterten Pfad entlang und blieben im Eingang zum Hof stehen. Gärtners Gesicht wirkte traurig auf mich, oder schien es mir nur so? Dann gingen sie durch das Tor und verschwanden auf der Straße.
    Ich starrte auf die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatten. Nur darum geht es schließlich. Um Abschiede. Nur der, der hier am Anfang war, wird auch am Ende noch da sein. Wir anderen passieren nur das, was wir mit verschiedenen Namen belegen, ohne zu wissen, was es ist. Wir haben uns Namen für alle Wesen, Dinge und Erscheinungen ausgedacht, wir klammern uns an Worte wie an Strohhalme, aber wir verstehen gar nichts, der Alte damals wusste schon, wovon er sprach. Wir haben uns eingebildet, dass wir wichtig sind, dass wir entscheiden, bauen, schaffen, tun, anhäufen, verändern, haben, wissen, denken, besitzen, aber eigentlich passieren wir nur.
    Manchmal halten wir inne, tun etwas, sagen etwas – und dann gehen wir durch ein Tor, verschwinden.
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