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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
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Entfernung darauf, dass Gras über die Sache wächst. Es gibt nur wenige sichere Verstecke auf dieser rotierenden Ansammlung von Materie. Hätte Van ˇ ca gesungen, wären sie schon längst erwischt worden. Das war ihnen völlig klar, doch sie haben trotzdem die Zone verlassen, wer weiß, was ihm im Gefängnis noch alles einfallen würde. Wer hätte schließlich ahnen können, dass er so blöd der Polizei in die Arme rennen würde. In Wien hatten sie erfahren, dass Van ˇ ca aus dem Gefängnis entlassen worden war. Mišo China hatte es ihnen gemeldet. Er hatte erzählt, dass er sich nach ihnen erkundigt habe und dass er jetzt für Milinovi ć s Witwe arbeitete.
    Sie irren durch die Gassen der Altstadt von Madrid, sie gehen vorbei an Bars, Cafés, Tavernen, Herbergen, den herabgelassenen eisernen Rollos von Geschäften und Garagen, die mit Graffiti besprayt sind, an Tattoostudios, Blumenläden, dem Portrait von Oscar Wilde, das auf Keramikfliesen gemalt ist, an VINOS Y TAPAS, JOSE GOMEZ, MIRANDA, DON FLAMENCO, CENTRO DE ESTETICA, EL INTI DE ORO, COMIDAS Y LICORES, Schriftzügen, die man auf Schaufenstern, Fassaden, Tafeln aus Blech und Plexiglasscheiben lesen kann.
    Weißt du, sagt Gärtner, ich bin müde von diesem Herumlaufen ohne Ziel und Sinn, was machen wir hier überhaupt?
    Wir warten auf Van ˇ ca, schießt es Frakalfrau durch den Kopf.
    Als sie von der Terrasse des Cafés in Krems aus gesehen hatte, wie er durch das Steinerne Tor in Richtung Stadtpark ging, hatte sie den Wunsch verspürt, hinter ihm herzulaufen und ihm zu sagen … was eigent-
lich? Sie wusste nicht, was sie ihm hätte sagen sollen, doch dieser Krater, der sich mit Van ˇ cas plötzlichem Abgang aufgetan hatte, quälte sie. Damals schrieb sie ihm per E-Mail:
    »Wessen Augen betrachten uns aus oxidierten Spiegeln,
    dort, wo sich der gefallene Engel erhoben hat?«
    Das waren die Krümel, die, so wusste sie, Van ˇ ca nach Madrid führen würden, wohin auch sie gehen wollte.
    Wir sind im Urlaub, sagt Fraktalfrau, entspann dich und genieß es.
    Ich brauch keinen Urlaub mehr. Seit Monaten erhole ich mich, ich brauche etwas action .
    Wie wäre es, wenn du den Papst erschießen würdest?
    Warum gehen wir eigentlich nicht irgendwo anders hin, diese Stadt geht mir auf die Nerven.
    Wohin denn zum Beispiel?
    Was weiß ich, vielleicht auf eine Insel.
    Wir sind doch auf einer Insel.
    Fraktalfrau zielt hier nicht auf die notorische geografische Tatsache ab, dass die Kontinente im Grunde Inseln in einem riesigen Ozean sind, der die ganze Erde bedeckt, sondern darauf, dass Spanien, neben Katalonien und dem Baskenland, das einzige europäische Land ist, in dem man alle Denkmäler für die Mörder der Vergangenheit abgerissen hat. Außerdem verwandelt man in Spanien die Gefängnisse nicht in Hotels und in Museen, sondern man reißt sie ebenfalls ab, und an ihrer Stelle werden Parks angelegt. Vierzig Jahre lang waren die Spanier die Geiseln eines Generals, der ein Massenmörder war, und es scheint so, als würde ihnen das für die nächsten zehn Generationen reichen. Die Straßen und Plätze sind jetzt nach Bäumen, Blumen, Dichtern, Musikern, Sängern benannt. In diesem Land werden keine Menschen oder Stiere mehr getötet. In dem Roman Kaputt schreibt der italienische Autor Curzio Malaparte, dass Spanien das Land der Sinnlichkeit und der Toten sei. Sie essen, trinken, lieben und lachen, als würden sie leben, schreibt Malaparte, aber eigentlich seien sie tot. Sie gehen tagsüber aus, sitzen in Cafés, beten in den Kirchen, schleppen sich durch das lebende Volk, das lacht, liebt, trinkt und singt.
    Es sind viele Jahre vergangen, seitdem der Roman geschrieben wurde, in Spanien gibt es keine Toten mehr, sie konnten den Strom des Lebens nicht ertragen, der sich durch die Straßen der Städte und Dörfer ergoss, als der General starb. Wir gingen damals auf die Straßen, erzählte die Dame, von der sie die Wohnung gemietet hatten, Fraktalfrau, und schauen Sie mal, es sind fünfundvierzig Jahre vergangen, und wir sind immer noch draußen. Das ist eine vollständig neue Erfahrung, und wir können nie genug davon bekommen.
    Obwohl es in Spanien die Polizei, das Militär, die Steuerbehörden, das Parlament und Abgaben für Wasser und Strom gibt, obwohl die Parkplätze außer am Sonntag und an Feiertagen bezahlt werden müssen, ist dieses Land eine Insel im Vergleich zu Schweden, Deutschland, den Niederlanden oder zum Beispiel Russland.
    In Spanien wollen die Menschen
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