Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren
Autoren: Edo Popovic
Vom Netzwerk:
trinken. In einer solchen Situation muss sich der Mensch irgendwo erleichtern, am einfachsten zwischen geparkten Autos oder auf den Bürgersteig, es gibt immer noch zu wenig Chemieklos, oder sie sind an den falschen Stellen aufgestellt, der Uringeruch steigt vom nächtlichen Asphalt auf.
    Fraktalfrau und ich hatten ihn in jenem Sommer in der Mietwohnung über dem Café Guridi in der Calle del Ave Maria viele Nächte lang eingeatmet. Wenn wir die Fenster schlossen, erstickten wir vor Hitze, von dem Ventilator an der Decke war kaum Hilfe zu erwarten, durch das offene Fenster drang der Geruch zu uns herein, wir wussten nicht, wie wir ihm entkommen konnten. Bis tief in die Nacht liefen alle von Stand zu Stand und tranken, die Kinder spielten im Sandkasten auf dem Platz. Vor dem Schaufenster des chinesischen Ladens saßen chilenische Immigranten und jaulten irgendwelche Lieder zur Gitarre. Vor dem Eingang zu unserem Haus, das daneben lag, spielten zwei Inder Schach, Schaulustige standen um sie herum, junge Männer aus der Karibik liefen in der Straße auf und ab und bliesen Ganja-Rauchschwaden aus. In den hell erleuchteten Fenstern gegenüber aßen Paare zu Abend, sahen fern, küssten und streichelten sich, aus einem libanesischen Restaurant konnte man jede Nacht Trommeln hören, jede Nacht aufs Neue begleiteten uns diese Geräusche des Menschenschwarms.
    In der Morgendämmerung war kurze Zeit alles still, aber dann kamen die Schwalben und Reinigungswagen. Die Müllmänner bespritzten die Bürgersteige mit einem Mittel und spülten es mit einem kräftigen Wasserstrahl fort. Die Mischung aus Urin, dem Reinigungsmittel und dem Wasser floss in die Kanalisation und dann in den Fluss, dort verdampfte sie, bildete Wolken und kehrte in Regentropfen auf die Erde zurück, die die Gerstenfelder und Hopfenplantagen benetzten, aus denen dann wieder Bier produziert wurde.
    Ein Perpetuum mobile.
    Und was taten die Schwalben währenddessen?
    »Zwitt«, »wittewittewitt«, »zrrr« – sie schossen durch den Morgenhimmel, schnappten nach Insekten und fütterten damit ihre Jungen in den Nestern. Der Morgen roch nach Chlor, Phosphaten und Formaldehyd, und
die Akazienblätter flatterten im Wind. Nun konnten wir endlich einschlafen.
    Dieses Mal riecht jedoch das ganze Lavapies-Viertel nach Akazien, sie stehen in voller Blüte. Im Internet habe ich das Appartement über dem Café Guridi nicht gefunden. Eine Wiederholung gleicht nie der Premiere. Nein, und es wäre grausam, wenn es so wäre. Ich habe eine Wohnung in der Calle del Sombrerete gemietet, die über dem Laden WANG WEI IMPORT EXPORT TAIYUAN MADRID liegt. Ich betone das, weil an der Innenseite des Schaufensters ein Aushang klebte, auf dem nach einer Hilfskraft gesucht wurde. Das Schaufenster ist vollgestopft mit bunten Schals, Tüchern, Fächern und Perlenketten, und in dem Geschäft findet man T-Shirts, Blusen, Hemden, Kleider, Hosen und Röcke zu Preisen zwischen einem und fünf Euro.
    Ohne viel zu überlegen, meldete ich mich in dem Laden, nachdem ich meine Tasche in der Wohnung abgestellt hatte. Den Besitzer, einen gedrungenen, glatzköpfigen Chinesen, störte es überhaupt nicht, dass ich weder Spanisch noch Chinesisch sprach. Es schien vielmehr, dass er damit sehr zufrieden war. Wie haben wir uns also verständigt? In Pidgin-Englisch. Diese Sprache wurde genau für solche Situationen erfunden. In Pidgin vereinbarten wir Folgendes: Da der Besitzer zugleich der einzige Angestellte war, sollte ich ihn nach Bedarf im Geschäft ablösen, ein, zwei Stunden am Tag, während er Mittagspause macht oder Ware beschafft, und nebenbei sollte ich den Laden aufräumen. Für den Anfang bot er mir zehn Euro pro Tag an. Ich reichte ihm meine Hand. Die Abmachung passte mir, obwohl der Tageslohn miserabel war. Zu diesem Zeitpunkt war mir das Geld noch nicht wichtig, die Witwe zeigte noch immer Geduld. Doch endlich würde ich morgens mit dem Gefühl aufwachen, dass ich etwas tun werde. Ich würde den Laden und den Bürgersteig davor fegen, das Schaufenster putzen, ich würde die Waren nach Art und Größe sortieren …
    Ich würde arbeiten.
    Später ging ich einkaufen. Auf der Calle de Argumosa wurden noch immer die Schaufenster ersetzt, die zwei Tage zuvor während der Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei zu Bruch gegangen waren. Ich las in einem Internetportal etwas über eine Aktivistengruppe, die forderte, dass die Polizei sofort den Papst als Hauptverantwortlichen für Pädophile
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher