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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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weiter! Die Stallburschen sollen den ganzen Weg absuchen, sie kommen sicher bald nach, und es wird mir eine Freude sein, Ihnen heute vor unseren Gästen zum zweiten Mal den Ring an den Finger zu stecken!«
    Darauf gibt Pierre de Kermarec dem Kutscher und den Stallburschen den Auftrag, alle Pferde aneinanderzuschirren — alle Vollblüter, all die Hengste und Stuten mit ihren Fohlen und sogar die Ponys des Kermarec-Gestüts, die zur Feier des Tages prächtig aufgezäumt im Hochzeitszug hatten mittraben dürfen.
    Die Stallburschen und der Reitknecht sollen nun den ganzen Weg bis zu der Stelle zurückgehen, wo der Ring vermutlich verloren gegangen ist, und ihn so lange suchen, bis sie ihn finden!
    Der Kutscher steigt wieder auf den Kutschbock und fährt seine Herrschaften zum Schloß. Das Hochzeitspaar sitzt schweigend im Wagen. Mit dem linken Arm umfaßt Pierre de Kermarec die Schulter seiner weinenden Frau und mit der rechten Hand führt er die Pferde, die jetzt mit gesenktem Kopf hinten nachtrotten.
    Die Dorfleute am Wegesrand winken ihnen nicht mehr fröhlich zu, alle stehen da, als käme ein Trauerzug vorbei. Alte Bäuerinnen knien hin und beten, die Männer ziehen die Mützen vom Kopf und bekreuzigen sich! Und das alles nur, weil der Trauring im Augenblick abgeht! Einfach lächerlich, dieser Aberglauben! Pierre de Kermarec ist wütend. Wie kann man nur so rückständig sein?
    Zum Glück ist es nicht mehr weit bis zum Schloß!
     
    Die Hochzeitsfeier ist nun schon seit zwei Stunden im Gange — Solange de Kermarec hat sich in der Zwischenzeit beruhigt und gibt sich wieder unbekümmert und heiter. Nach dem Festmahl läßt sie sich sogar von ihren Brautjungfern dazu überreden, mit ihnen im Park Blindekuh zu spielen. Pierre nützt die Gelegenheit, steigt auf sein Pferd und reitet zu den Stallburschen hinaus, die den Ring anscheinend noch nicht gefunden haben.
    Erst eine Stunde später galoppiert er wieder die breite Schloßallee hinauf — ohne den Ring! Der Kutscher — sein väterlicher Freund seit eh und je, erwartet ihn ganz aufgeregt unten an der Freitreppe:
    »Monsieur Pierre, haben Sie die Frau Gräfin irgendwo gesehen?«
    »Solange? Nein! Als ich ausgeritten bin, wollte sie doch mit ihren Freundinnen im Park spielen! Warum fragst du?«
    »Sie ist verschwunden! Wir suchen sie überall — schon seit einer Stunde!«
    »Vielleicht hat sie sich zurückgezogen und macht sich oben im Westflügel schön für den Ball?«
    »Nein, Monsieur Pierre! Ihre Zofe hat sie zuletzt gesehen, als sie ihr den Schleier abgenommen hat. Und das war bevor sie mit den Komtessen spielen ging. Im Park war sie nicht!«
    »Dann hat sie sich eben sehr gut versteckt!«
    Der alte Kutscher tritt unruhig von einem Bein aufs andere. Pierre hat ihn noch nie so zerfahren erlebt. Er ist kreidebleich und sein Kinn zittert — voller Angst murmelt er:
    »Die Schwarze Hochzeit, Monsieur Pierre! Die Schwarze Hochzeit!«
     
    Pierre de Kermarec wird langsam ärgerlich! Zuerst die dumme Sache mit dem Ring und nun das! Die Schwarze Hochzeit! Er kann den Unsinn einfach nicht mehr hören! Wochenlang wurde er von allen wegen der blöden Geschichte bestürmt. Jeder versuchte ihn davon abzubringen, ausgerechnet in diesem Schloß zu heiraten. Eine Sage aus grauer Vorzeit berichtet nämlich, ein Fluchhänge über ihm, und wer hier seine Hochzeit halte, der werde vom Unglück verfolgt! Pierre und Solange lachten nur darüber — und nun scheint der Braut tatsächlich etwas zugestoßen zu sein? Alles Zufall, ganz bestimmt, was denn sonst! Nur wird es allmählich Zeit, daß Solange wieder auftaucht.
    Den ganzen Abend lang, die Nacht hindurch, am nächsten Tag und an den folgenden Tagen wird die entschwundene Braut mit wachsender Verzweiflung gesucht — buchstäblich überall: in allen Winkeln des Schloßes, im Park und in den Nebengebäuden, in den Wäldern und bis hin zum Dorf — die ganze Gegend wird mit Hilfe der Gendarmerie durchkämmt — alles vergebens. Nach zwei Wochen bleibt Pierre de Kermarec nichts anderes übrig, als der Tatsache ins Auge zu sehen: seine Frau ist unauffindbar. Sie ist für alle Zeiten verloren. Nie wird sie zurückkehren.
    Vier Wochen später läßt Pierre in der Gruft der Kermarec ein Kreuz anbringen — mit der schlichten Aufschrift: »Solange de Kermarec — 1811-1830«.
    Diese Schwarze Hochzeit bestätigt die Sage vom Fluch über dem Schluß auf so quälende Art, daß dort von nun an keine Hochzeiten mehr gefeiert
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