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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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Sie so leben lassen, wie es Ihnen beliebte...«
    »Und nun sterbe ich wohl nicht schnell genug, was?«
    »Schluß jetzt! Entweder Sie packen augenblicklich Ihre Koffer und kehren mit mir nach New Haven zurück, oder aber Sie werden schon morgen für unfähig erklärt, Ihr Vermögen selber zu verwalten!«
    »Hinaus! Hinaus! Ich baue weiter, solange ich will, solange ich lebe!«
     
    Ja, sie weiß immer noch, was sie will, die baulustige alte Dame. Aber allmählich ist sie müde geworden. Sechsunddreißig Jahre lang hat sie ihre ganze Energie in den Bau dieses monströsen Hauses gesteckt. Jetzt ist sie am Ende ihrer Kraft. Und sie kann unmöglich gegen den Familienrat ankämpfen.
    Alle erklären sie für verrückt, und so wird sie tatsächlich entmündigt: Sie verliert die Winchester Company, und ihr Privatkonto wird mit sofortiger Wirkung gesperrt.
    Sarah Winchester — arm wie eine Kirchenmaus — muß alle Architekten und Handwerker entlassen: der letzte Hammerschlag verhallt im Oliver House... Das Werk ist vollendet. Sarah muß gehen.
    Ohne Widerrede läßt sich Sarah nun von San José nach New Haven bringen — und ohne Widerrede stirbt sie dann auch kurz darauf.
     
    Das Oliver House hatte 160 Zimmer, 2000 Fenster, 150 000 Glasscheiben, 1800 Türen, 21 Badezimmer, 8 Küchen, 2 gigantische Treibhäuser, 3 Swimmingpools, 18 Wasserbecken mit Springbrunnen... und ringsherum überall Gartenhäuser und Pavillons, mitten in einem Wald von Orangen- und Zitronenbäumen.
    Es hatte fünf Millionen Dollar gekostet. Vor 100 Jahren war es ein unvorstellbares Vermögen!
    Fünf Millionen Dollar für die Verwirklichung des Traumes eines langen Lebens nach dem Tod... und mit den Toten.
    Nie haben Waffen ein längeres Leben beschert.
     

Die »Schwarze Hochzeit«
     
    Am 10. April 1830 heiratet Solange de Saint Pois den Sproß eines alten bretonischen Adelsgeschlechts, Pierre de Kermarec, in einem abgelegenen Dorf im keltischen Land. Gleich nach der Trauung besteigen die Jungvermählten eine mit Blumen geschmückte und mit vier weißen Pferden bespannte Kutsche und fahren zurück zum Schloß. Überall am Weg stehen die Bauern, winken ihrer neuen Herrin zu und freuen sich auf die große Hochzeitsfeier, zu der nach altem Brauch das ganze Dorf geladen ist.
    Solange und Pierre strahlen vor Glück und sind selig wie die Kinder. Die ganze Fahrt lang scherzen sie und betragen sich überhaupt nicht so, wie man es von Grafenkindern erwarten sollte. Die beiden jungen Edelleute halten nicht viel von den Anstandsregeln ihrer Ahnen, die sich jetzt wahrscheinlich im Grabe umdrehen — entrüstet über den Mangel an Etikette, den ihre Nachkommen da zur Schau tragen! Sie küssen sich sogar ganz ohne Scheu! Sie kichern und lachen, als wären sie schon den Blicken Aller entzogen, allein in ihrem Brautgemach...
    Die Fahrt dauert an. Die junge Frau spielt mit ihrem Trauring und liest zum hundersten Mal die eingravierte Widmung: »10. April 1830 — Pierre — Auf ewig Dein!« Da gleitet er ihr plötzlich aus der Hand:
    »Pierre! Mein Ring!«
    »Schon nach einer Stunde entledigt sich meine verehrte Gemahlin der Fessel ewiger Treue?«
    »O scherzen Sie nicht darüber, Pierre! Ich habe den Ring tatsächlich verloren! Lassen Sie die Kutsche anhalten, ich bitte Sie!«
    Der Wagen hält an. Während Pierre und Solange im Inneren suchen, am Boden, zwischen den Sitzen und unter den Kissen, in den Blumengewinden und in den Falten des meterlangen, sorgfältig drapierten Schleiers, kriecht der Kutscher unter den Wagen und schaut überall hin, wo ein winziger Ring hängen bleiben könnte.
    Nach zehn Minuten vergeblicher Suche zuckt er nur ratlos mit den Schultern:
    »Nicht zu finden, Monsieur Pierre, er muß irgendwo auf den Weg gefallen sein.«
    »Dann sucht Er ihn eben. Wir warten so lange...«
    »Wie Sie wünschen, Monsieur Pierre, aber die Hochzeitsgesellschaft wartet auf den Beginn der Tafel! Sie dürfen mit der neuen Schloßherrin nicht zu spät erscheinen! Sie wissen doch, das bringt Unglück!«
    Da bricht Solange in bittere Tränen aus. Pierre versucht, sie zu trösten, aber sie steigert sich immer mehr in ihre Verzweiflung hinein:
    »Es ist wahr, Pierre, das ist ein böses Omen... wir hätten niemals in diesem Schloß heiraten dürfen... wir hätten auf die anderen hören sollen... sie haben uns gewarnt... nun werden wir bestraft.«
    »Unsinn, ich bitte Sie, Solange! Das sind doch Altweibergeschichten! Trocknen Sie Ihre Tränen und lachen Sie! Wir fahren
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