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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
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hören bald von mir, Mrs. Winchester.«
    Zu Anfang dieses Jahres 1881 versetzt die Ankunft der Witwe Winchester die kleine kalifornische Stadt San José in helle Aufregung. Der Telegraphenbeamte macht sich einen Spaß daraus, die wunderlichen Depeschen, die Sarah dauernd nach New Haven schickt, sogleich im Salon zu verbreiten:
    »Die Winchester hat heute wieder telegraphiert! Sie verlangt, daß man ihr postwendend 500 000 Dollar überweist! Sie kauft das Haus von dem Caldwell! Wißt ihr noch? Von dem, der völlig durchgedreht ist, als seine Frau starb! Der war nicht einmal auf der Beerdigung, er ist vorher abgereist! Schade, daß er unsere reiche Witwe nicht kennt, die beiden würden sich bestimmt gut verstehen! Die sind ja beide verrückt!«
     
    Zehn Hektar Grund — 100 000 Quadratmeter! — mit Orangen- und Zitronenbäumen, und in der Mitte eine riesige Baustelle — das ist das neue Zuhause von Mrs. Sarah Winchester.
    Im März 1881 strömt eine ganze Armada von Maurern, Zimmerleuten, Schreinern, Glasern, Dachdeckern, Gärtnern, Installateuren, Malern und Tapezierern in das verlassene Grundstück des verrückten Witwers und beginnt im Auftrag der neuen verrückten Besitzerin mit den Bauarbeiten. Nach wenigen Wochen ist es soweit: Mrs. Winchester bezieht ihre neue Residenz. Das Haus ist zwar noch nicht ganz fertig, aber man kann doch schon darin wohnen. Bei der Einweihung wird das Anwesen feierlich Oliver House getauft. Der Hotelbesitzer und seine Frau, der Notar und seine Gemahlin sind selbstverständlich eingeladen.
     
    Während des Dinners bittet Sarah plötzlich um absolute Ruhe:
    »Pssst! Hören Sie? Er spricht...«
    Weder der Notar, noch die anderen Gäste vernehmen irgendeine Stimme. Lediglich ein verirrter Schakal bellt in der Nacht. Aber Sarah Winchester, die Augen zur Decke gerichtet, die Hände zum Gebet gefaltet, stammelt Worte nach, die sie offenbar hört:
    »Liebe Sarah... jetzt... bin ich... glücklich... es wird dir... gut gehen. Solange das Geräusch der Hämmer... in unserem Haus hallen wird... Du mußt weiter bauen lassen... man stirbt erst dann... wenn man glaubt... alles sei vollendet! Baue weiter... und du wirst weiter leben... solange du baust...«
    Man kann sich die Verlegenheit der Gäste gut vorstellen! Während der Hotelbesitzer und seine Frau mit offenem Munde und ungläubigen Blicken die Witwe anstarren, die ganz offensichtlich den Verstand verliert, bemüht sich die Gemahlin des Notars krampfhaft, die Stimmung wieder aufzulockern. Souverän führt sie nun die Konversation:
    »Diese englische Einrichtung würde Dr. Caldwell sehr zusagen! Er ist Engländer mit Leib und Seele, er schätzt alte Traditionen über alles! Seine Gattin stammt allerdings aus Rumänien und...«
    »Psst! Seien Sie doch ruhig! Lassen Sie mich hören, was Oliver sagt! Oliver? Sprich lauter bitte, ich verstehe dich kaum. Oliver?«
     
    Es ist vorbei. Oliver ist gegangen.
    »Was meinen Sie, Mrs. Winchester?«
    »Es war Oliver!«
    Sie sagt es ganz natürlich, ganz nüchtern, so wie wenn heute jemand sagen würde »Eben war Bismarck am Telefon!«
    Der Notar und seine Frau bemühen sich zwar nach Kräften, den Zwischenfall als Hirngespinst einer schwergeprüften alten Dame abzutun, doch die Tassen klirren in ihren zittrigen Händen.
    »Haben Sie nichts gehört? Nun, Oliver spricht heute tatsächlich sehr leise. Wahrscheinlich, weil Sie alle da sind! Er will nur zu mir sprechen, das ist verständlich, nicht wahr?«
    »Jaja, schon verständlich...«
    »Ach, lassen Sie, ich merke es Ihnen doch an. Sie glauben, ich bin nicht mehr ganz richtig im Kopf! Aber Sie werden es später selber erleben, unter Umständen, wenn Ihre Liebe stark genug ist! Nicht wahr, lieber Herr Notar? Wenn Sie als Erster sterben, dann werden Sie doch auch Ihrer Frau weiterhelfen wollen?«
    »Ja gewiß, Mrs. Winchester.«
    Hier in San José kann ich Oliver viel besser hören als in New Haven. Die Verbindung ist hier klarer. Wahrscheinlich wollte er deswegen, daß ich nach Westen gehe!«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Nun, jetzt weiß ich, was ich zu tun habe! Es liegt eine Menge Arbeit vor mir! Oliver sagte mir gerade, ich soll weiter bauen lassen... solange ich leben will!«
    »Aber das Haus ist jetzt fertig!«
    »Fertig? Ein Haus wird niemals fertig! Morgen rufe ich den Bauunternehmer an, er soll gleich weitermachen!«
    »Haben Sie denn nicht genug Platz mit 17 Zimmern und 4 Bädern? Für Sie ganz allein?«
    »Ich tue nur, was Oliver sagt. Er will
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