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Berlin Fidschitown (German Edition)

Berlin Fidschitown (German Edition)

Titel: Berlin Fidschitown (German Edition)
Autoren: D B Blettenberg
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1
    Der Lärm des Schusswechsels hallte im Stollen nach, bis wieder Stille im Finstern herrschte.
    Captain Nguyen Van Giang – alias „Anh Ham“ – kauerte regungslos im Durchgang zur Gasschleuse und nahm Witterung auf. Es roch nach Schießpulver, Abwasser und Rattenpisse. Der Duft der Berliner Unterwelt.
    Über ihm schwamm die Oberwelt auf märkischem Sand und hohem Grundwasser. Und doch war ihr Unterbau solide. Rückgrat und Knochengerüst bildete ein stabiles Netz aus Tunneln und Bunkern, das die Deutschen im Laufe der Geschichte in die Erde getrieben hatten. Eine bizarre Mischung aus Lebensadern und Grabkammern, oft dem Verfall überlassen, dann wieder ausgebaut, ganz nach Laune von Geld und Politik, abhängig von Krieg oder Frieden.
    Im Moment herrschte Krieg – auch ohne die Deutschen. Im Gang zwischen den Zellen der Luftschutzanlage lagen drei feindliche Soldaten. Sie gehörten zur Bande aus Saigon und waren tot. Das war so sicher wie die Gewissheit, dass während des kurzen Gefechts auch die letzte Ratte aus dem Bunker geflüchtet war. Aber einer der Feinde lebte noch. Irgendwo da vorne im pechschwarzen Nichts hatte er sich durch ein leises Geräusch verraten. Vielleicht war er verletzt. Der Captain lauschte und wartete ab.
    Auf die beiden Mitstreiter, die hinter ihm lauerten, konnte er sich bedingungslos verlassen. Absolute Regungslosigkeit. Kein Ton. Geduld. Bis der Feind sich verriet.
    Warten hatten sie beim Vietcong gelernt. Und es war nicht einmal besonders kalt unter der Erde. Die Temperatur lag deutlich über null. Ganz im Gegenteil zur Oberwelt, die bei minus fünfzehn Grad Celsius in Eis und Schnee erstarrte, während die Christen ihren dritten Advent feierten. Der Captain kannte den Brauch mit dem Kranz aus Tannenzweigen und den vier Kerzen. Er hatte den dazu passenden Spruch oft genug gehört. Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei dann vier, dann steht das Christkind vor der Tür ...
    Doch im Keller der Metropole ging es nicht auf das Fest der Liebe zu. Es gab keinerlei Grund zur Freude, und es brannte auch kein Licht. Die Hölle war so schwarz wie die Overalls, die er und seine Männer trugen. Für die Langnasen da oben mochten es nur noch eine Woche bis Heiligabend und noch eine mehr bis Silvester sein, für Vietnamesen dauerte es noch anderthalb Monate bis zum Tet-Fest. Vielleicht gab es dann – zum heimischen Neujahr – einen Sieg zu feiern.
    Nicht weit entfernt ratterte ein Zug der U-Bahn-Linie 8 vorbei. Der Lärm schwoll an und ab, und dann herrschte wieder Stille – bis tief im Bunker ein einzelner Wassertropfen in einer Pfütze einschlug. Es hörte sich an, als sei ein Ball in einem Teich gelandet. Das Geräusch kam aus dem verfallenen Maschinenraum am Ende des Ganges, in dem es wie in einer Tropfsteinhöhle aussah. An der Decke hing ein gutes Dutzend Stalaktiten, und das Kalkwasser ließ sie beharrlich wachsen und arbeitete Tropfen für Tropfen an den Stalagmiten, die den Boden zwischen den verrosteten Aggregaten der Entlüftungsanlage zierten und wie Spiegeleier aussahen.
    Da war wieder das leise Scharren.
    Es genügte dem Captain als Orientierung. Er nahm die Stablampe in die Linke, das Kampfmesser in die Rechte und glitt in die Dunkelheit – wie ein Drache, der jeden Winkel seiner Höhle genau kennt und fest entschlossen ist, sie restlos und für immer von unerwünschten Eindringlingen zu säubern.

2
    Der Mann mit den rosa Ohrwärmern und der weinroten Säufernase legte die abgezählten Münzen auf den Plastikteller mit der Doornkaat -Reklame, der zwischen den gestapelten Tageszeitungen stand.
    Seine Finger zitterten nur leicht. Er agierte mit der angestrengten Sorgfalt des Alkoholikers. Die Frau im Kiosk sah geduldig zu. Das Ritual war eingespielt. Es bestand kein Grund zur Hektik. Mollen-Rudi brauchte Nachschub, und er zahlte immer auf Heller und Pfennig. Sie musterte die roten Äderchen unter seinen Tränensäcken.
    „Weißte, wie man sowat in de Fachsprache nennt, Rudi?“
    „Een Sechser.“ Er legte das letzte Fünfpfennigstück auf den Teller.
    „Ick mein dein Zinken.“
    Rudi sah sie aus wässrigen Augen an. „Wat hasse gen meine Nase?“
    „Fuselrüssel nennt man det.“ Sie grinste.
    Rudi zeigte seine angefaulten Zahnstummel. „Mach du ma nua imma Komplimente, Erna.“
    Sie reichte ihm den Flachmann, während der Luftstrom über dem Bahnsteig einen Zug ankündigte und die Titelseiten zum Flattern brachte.
    Er steckte die kleine
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