Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits
Autoren: Pierre Bellemare
Vom Netzwerk:
Leben im Dienste seines heißgeliebten Landes geht Oliver Winchester also den Weg allen Fleisches.
    Er hinterläßt seinen Erben ein beträchtliches Vermögen! Allein das Firmenvermögen wird auf rund drei Millionen Dollar geschätzt, und eineinhalb Millionen haben sich im Laufe der Zeit auf seinem Privatkonto angesammelt. Harte Dollars wohlgemerkt... Vor 100 Jahren verdiente der Gold Eagle noch seinen Ruf!
     
    Sarah Winchester kniet neben ihrem sterbenden Gatten: »Ich habe Angst, Oliver... ich will nicht allein auf dieser Welt bleiben... nicht ohne dich! Du hattest mir doch versprochen... nicht vor mir zu gehen! Oliver! Du darfst nicht sterben...«
    »Ich sterbe nicht, Sarah, ich gehe nur... in eine andere Welt...«
     
    Alle Anwesenden im Zimmer senken den Kopf und beginnen, Sterbegebete zu murmeln. Es waren die letzten Worte des genialen Waffenfabrikanten.
    Die Familie und der Verwaltungsrat — was auf dasselbe hinausläuft — beten also und überschlagen dabei auch schon ihre Chancen! Alle Söhne und Neffen, Schwäger und Schwiegersöhne leiteten zusammen mit dem Familienoberhaupt das Unternehmen — und nun fragt sich jeder insgeheim, wie viele Stufen er bei der Neuverteilung der wichtigsten Posten eventuell hinaufsteigen könnte.
    Sarah Winchester, die Witwe, etwa fünfzig Jahre alt — hat sich nie ums Geschäft gekümmert. Und sie braucht sich jetzt auch keine Sorgen um die Zukunft zu machen. Ihr gehören nicht nur die eineinhalb Millionen Dollar des Privatvermögens ihres verstorbenen Gatten, sie ist auch die neue Eigentümerin der Winchester Company. Nur im Augenblick denkt sie überhaupt nicht daran. Verzweifelt wirft sie sich über den Toten, weint und zittert am ganzen Körper. Die verwaltende Familie kümmert sich liebevoll um sie: Der eine nimmt die zusammengebrochene Frau in die Arme, der andere führt sie behutsam aus dem Zimmer hinaus, der dritte bittet den Arzt, ihr ein Beruhigungsmittel zu geben. Die übliche Szene — ob ein Winchester stirbt, oder der Mann von nebenan.
    Doch auf einmal passiert etwas Ungewöhnliches: Plötzlich befreit sich Sarah energisch aus den vielen Armen, die sich polypengleich um sie schlingen, und wie von Sinnen rennt sie aus dem Haus und schreit:
    »Ich gehe fort! Ich gehe fort!«
    Völlig konsterniert sieht die Familie zu, wie die wildgewordene Witwe durch den Park läuft. Ist sie vor lauter Kummer verrückt geworden? Sie rennt mehrmals um das Herrenhaus, eilt dann die Treppen zu ihren Zimmern hinauf, stößt die Dienerschaft beiseite und wiederholt pausenlos, so als hätte sie tatsächlich den Verstand verloren:
    »Ich gehe fort! Ich gehe fort!«
    Und schon packt sie ihre Koffer. Jeder ist bemüht, sie zu beruhigen, ihr gut zuzureden, sie zu trösten — aber es hilft alles nichts. Sarah Winchester schlägt wild um sich und brüllt jeden an, der sich in ihre Nähe wagt:
    »Laß mich in Frieden! Ich gehe fort!«
    Der älteste Sohn versucht es in strengerem Ton:
    »Mutter! Fassen Sie sich, um Gottes Willen! Wir alle trauern um Vater.«
    »Ich will dieses Haus niemals wiedersehen! Ich gehe fort! Gleich jetzt! Nur fort von hier!«
    »Aber Mutter, das ist doch unmöglich! So nehmen Sie doch Vernunft an!«
    »Ich muß nach Westen... sofort!«
    »Wenn Ihnen soviel daran liegt... können Sie in einigen Tagen verreisen, aber nicht vor dem Begräbnis! Ich bitte Sie! Das geht doch nicht!«
    »Warum nicht? Oliver ist tot! Was soll ich da noch hier?«
    »Auch der Anwalt der Familie mischt sich nun ein:
    »Mrs. Winchester, es ist Ihre Pflicht hier zu bleiben... wenigstens bis das Testament eröffnet wird und alle Erbschaftsangelegenheiten geregelt sind!«
    »Ich tue, was ich will! Und ich will fort! Noch heute! Nach Westen.«
     
    Zwei Tage später wird Oliver Winchester in New Haven zu Grabe getragen. Eine sehr würdige, ja gelungene Zeremonie, über die man noch lange in der Stadt spricht. Alle Freunde und Bekannten, alle Geschäftspartner und auch die Konkurrenten, alle Politiker und Honoratioren der Gegend, alle Arbeiter der Waffenfabrik sind da, jedes auch noch so entfernte Familienmitglied ist angereist, Es sind Hunderte von Menschen, die dem Toten an diesem kalten Dezembertag vor der prunkvollen Gruft der Winchesters die letzte Ehre erweisen.
    Nur die Witwe ist nicht da!
    Seit dem Todestag ist sie in ihrem Zimmer eingesperrt, und zwei kräftige Krankenschwestern passen auf sie auf wie Wachhunde. Der Familienrat sah keine andere Möglichkeit, die Universalerbin von ihren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher