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Baustelle Demokratie

Baustelle Demokratie

Titel: Baustelle Demokratie
Autoren: Serge Embacher
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Demokratie braucht Leidenschaft
    Eine Standortbestimmung
    Eine demokratische Gesellschaft ist eine solidarische Gesellschaft. In ihr ist nicht nur Freiheit, sondern auch Gerechtigkeit und damit soziale Sicherheit wirklich. Ohne das tägliche Engagement von vielen Millionen Menschen ist eine freiheitliche und soziale Demokratie nicht möglich. Denn Freiheit zeigt sich nicht darin, dass jeder machen darf, was er will, sondern darin, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und dadurch das Gemeinwesen mitzubegründen.
    Dies ist das Projekt, das auch mich umtreibt und nicht loslässt, immer wieder neu, beruflich und politisch in verschiedenen Positionen, sei es in Forschung und Lehre, als Referent im Deutschen Bundestag oder als Autor und Publizist. In einer dieser Positionen war meine Aufgabe die Koordinierung des Nationalen Forums für Engagement und Partizipation . Hinter diesem Namensungeheuer verbirgt sich der anspruchsvolle Versuch, mit der Aufwertung der Bürgergesellschaft ernst zu machen und sie – ihrer Bedeutung für die Demokratie gemäß – näher ans Zentrum der Politik zu rücken. Von diesem Versuch und seinem Scheitern ist im Folgenden an mancher Stelle die Rede. Ohne Scheu wollte ich dieses Scheitern analysieren und in einen größeren demokratiepolitischen Zusammenhang rücken. Das wird nicht jedem gefallen, es ist aber unvermeidlich. Denn eins der vielen Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben, ist die Angst vor Klartext und Verbindlichkeit. Wer dem das eigene Beispiel entgegensetzt, macht sich angreifbar und setzt sich dem Streit aus. Das muss so sein, denn Demokratie ist eine streitbare Angelegenheit.
    Aber Scheitern in der Demokratie darf immer nur als ein produktives Scheitern verstanden werden, als Anlauf, der den Neubeginn bereits in sich trägt. Alles andere wäre naiv oder müsste in jenem abgeklärten Pragmatismus enden, in welchem Demokratie nicht mehr als das Ringen um Macht darstellt. Auf Dauer kann sie so nicht bestehen, weil Macht um ihrer selbst willen früher oder später in autoritäres Denken mündet. Die überwältigende Mehrheit der Menschen hat eine andere Idee von Demokratie im Kopf. Für sie ist und bleibt Demokratie ein soziales Projekt, bei dem es um Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität geht. Bei ihnen bin ich in guter Gesellschaft.

Unterm Strich zähl ich?
    Eine Einführung
    Die Trümmer gesellschaftlicher Solidarität lassen sich allabendlich besichtigen. Um kurz vor acht, unmittelbar vor Beginn der Tagesschau, darf man seit geraumer Zeit einer Szene beiwohnen, die den Zustand unserer Gesellschaft sehr gut versinnbildlicht. Ein Werbespot der Postbank ( http://www.bbdo.de / cms / de / works / postbank.html ) zur allerteuersten Werbezeit – wer die Nachrichten nicht versäumen will, kann ihm kaum entkommen: Wir sehen einen jungen Mann, wie man heute vielen begegnet: Er scheint gut gebildet, »aus gutem Hause« zu sein, doch ist er mit Bedacht nachlässig gekleidet, Jeans und Pullover, alles leicht verwaschen und aus der Form, Dreitagebart, die neue Form einer städtischen Boheme, die indes ihre intellektuelle Ausstrahlung verliert, sobald sie den Mund aufmacht. Die Sprache dieser neuen, nur gemimten Boheme gibt sich lässig und frei, ohne jeden Ballast von Schmutz und Lebenserfahrung. Hier erscheint uns kein kraftstrotzendes Mannsbild, vielmehr der famose Vorzeigejüngling einer neuen Generation – die S-Klasse unter den begehrenswerten Subjekten: perfekt abgezirkelte Nachlässigkeit in Aussehen und Verhalten, dabei locker und fröhlich – zupackend, polyglott und stets auf den eigenen Vorteil bedacht, doch dies in einer Weise, dass nur übellaunige Zeitgenossen das ernsthaft monieren würden.
    Der junge Mann ist Kunde der Postbank, er steht in seiner nagelneuen und sehr teuren Einbauküche. Bei ihm steht seine Freundin, auch sie Tochter aus gutem Hause, schön, aufstiegs-, mode- und siegesbewusst. Die beiden packen Einkäufe aus, sie leert einen ökologisch korrekten Einkaufssack, er räumt die Lebensmittel in den Kühlschrank, das heißt in die sündhaft teure XXL-Kühl- und Gefriereinheit von AEG-Siemens-Bosch-Bulthaup-oder-was-auch-immer.
    Dann er: »Wieso haben wir dir eigentlich eine neue Küche gekauft, wo du doch gar nicht kochen kannst?« Sie hält einen Moment inne und holt zum Konter aus: »Und? – Wieso haben wir dir ein neues Auto gekauft?« Er ist entzückt von so viel weiblichem Widerstandsgeist und lächelt ein
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