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Denn Gruen Ist Der Tod

Titel: Denn Gruen Ist Der Tod
Autoren: Nigel McCrery
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begrenzt war. Das Alter forderte seinen unvermeidlichen Tribut und das Rheuma ließ ihn steif in den Knien werden. In jedem anderen Beruf wäre er längst pensioniert worden, aber die Gemeinde hatte – was nicht besonders überraschend war – Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden, und ihn daher gebeten, noch »eine Weile« zu bleiben. Er hatte gehofft, sie würden einen kleinen Bagger anschaffen, um ihm die Arbeit zu erleichtern, aber dafür war nicht genügend Geld da. Stattdessen hatten sie ihm einen neuen Spaten gekauft, als eine Art Entschädigung, aber der erwies sich als nicht besonders nützlich. Am oberen Ende seines Stiels war eine Art Hebel angebracht, der das Graben erleichtern sollte, aber er ging bereits nach einer Woche zu Bruch und so musste Applin wieder den alten benutzen. Das hatte seinen Knien den Rest gegeben. Und die Arbeit warf auch nicht mehr so viel ab wie früher. Er bekam kaum noch Trinkgeld und wenn doch, dann genügte es gerade mal für ein paar Bier im Black's Head. Abgesehen davon wollten heutzutage immer mehr Leute eingeäschert werden und da war für ihn dann gar nichts mehr zu holen. Es war schon merkwürdig: Er hatte die meisten seiner »Kunden« gekannt, als sie noch gelebt hatten. Sie hatten sich immer für etwas Besseres gehalten, aber er überlebte sie alle und warf Erde auf ihre Sargdeckel. Er hatte sich schon sein eigenes Plätzchen auf dem Friedhof ausgesucht und der Pfarrer hatte es ihm auch versprochen. Es lag unter der alten Eibe am hinteren Ende des Friedhofs. Ihm gefiel es dort. Es war ein kühler, wettergeschützter Ort und die Kinder drangen nur selten so weit auf den Friedhof vor, weshalb er hoffte, dort auch vor den Grabschändern sicher zu sein, die in den letzten Jahren oftmals auf dem Friedhof ihr Unwesen getrieben hatten. Er lehnte sein Fahrrad an einen der vielen alten Grabsteine, nahm seine Tasche vom Lenkrad, schwang den Spaten über die Schulter und machte sich mit Scruff, seinem Terrier, auf, um ein neues Grab auszuheben.
     
    Sam trat aus dem Gerichtsgebäude ins Tageslicht. Es war mild und die Luft lag drückend auf der Stadt. Der Himmel verdüsterte sich immer mehr, denn Sturmwolken zogen von Osten auf. Sie straffte ihre Schultern und sah über die alten Dächer zur Kathedrale hinüber. Obwohl sich ein Großteil des Gebäudes ihrer Sicht entzog, war es doch ein majestätischer Anblick. Das riesige Bauwerk erhob sich über Ely wie ein bedrohlicher Gletscher. Seine bernsteingelben, grauen und roten Schattierungen setzten sich deutlich von dem schwarzen Himmel ab, da sie gerade noch von den letzten Strahlen der untergehenden Oktobersonne erfasst wurden. Sie besuchte diese Kathedrale von Zeit zu Zeit, wanderte durch die diversen Kapellen und studierte die Inschriften zum Gedenken an die Großen und Wohltätigen. Das half ihr dabei, ihr ansonsten so nüchternes Leben mit einer spirituellen Dimension zu bereichern, obwohl sie sich der Existenz Gottes keineswegs mehr so sicher war. Als Kind hatte sie an ihn geglaubt, aber das war vor dem Tod ihres Vaters gewesen.
    Sie war dabei gewesen, als er starb, hatte gesehen, wie er ihr noch zugewinkt hatte und im nächsten Moment in einem riesigen Feuerball explodiert war. Die Attentäter waren nie gefasst worden; das gelang selten, denn es war alles politisch zu brisant und verworren. Er hatte gewusst, dass sein Leben in Gefahr war, als Katholik und Polizist war ihm die Katastrophe quasi vorherbestimmt. Dutzende seiner Freunde waren bereits umgekommen oder schwer verletzt worden, weshalb er stets sehr vorsichtig gewesen war. Normalerweise prüfte er alles mindestens zweimal und sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie mit dem Spiegel an dem langen Griff gespielt hatte, mit dem er jedes Mal einen Kontrollgang um sein Auto machte, bevor er wegfuhr. Es war an dem Tag gewesen, als er gestorben war. Sie hatte den Spiegel hinten im Garten liegen gelassen, als ihre Mutter sie zum Essen rief. Ihr Vater war zu einem Notfall gerufen worden und hatte es einmal darauf ankommen lassen. Man machte die IRA für den Anschlag verantwortlich, aber später, als Sam alt genug war, ihre eigenen Fragen zu stellen, hatte sie Zweifel an dieser Schuldzuweisung bekommen. Katholischen Polizisten vertraute man nicht. Alles, was ihr Vater sich gewünscht hatte, war ein friedliches Irland gewesen. Sie wusste, dass sie schuld an seinem Tod war, ihre Mutter hatte es gesagt. Ihre Mutter hatte an seinem Grab gestanden, Sams Schwester eng an
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