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Denen man nicht vergibt

Titel: Denen man nicht vergibt
Autoren: Catherine Coulter
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hören. Da holte er tief Luft. Ihm wurde ein klein wenig wärmer, und auch sein Kummer wurde ein klein wenig erträglicher. Der Beichtstuhl war nicht zu sehen. Anstatt den Tatort mit gelbem Plastikband abzusperren, hatte man den Beichtstuhl mit einem dicken schwarzen Vorhang vor neugierigen Blicken und Händen verborgen. Delion schob den Vorhang beiseite und enthüllte den Beichtstuhl - ein alter, ehrwürdiger Beichtstuhl, aus altem, dunklem, teilweise schon ein wenig zerkratztem Holz. Hoch und schmal, mit zwei schmalen Türen, die erste für den Beichtenden, die andere für den Priester. Der funkelnde bunte Lichtstrahl fiel jetzt direkt auf diesen Beichtstuhl und ließ ihn beinahe durchscheinend wirken.
    Langsam öffnete er die Tür und setzte sich auf die harte Bank. Er blickte durch das zerstörte Sichtgitter. Sein Bruder war noch vor kurzem hier gewesen, hatte gesprochen, hatte intensiv zugehört. Er bezweifelte, dass der Mann die Kniebank benutzt hatte; bei diesem Eintrittswinkel war das höchst unwahrscheinlich. Ob Michael gewusst hatte, dass der Mann ihn töten würde?
    Dane erhob sich und ging zur anderen Seite. Auch diese Tür öffnete er und setzte sich auf den gepolsterten Sitz, wo sein Bruder gesessen hatte. Er wusste nicht, was er sich davon erwartet hatte, an dem Platz zu sitzen, wo sein Bruder gestorben war, tatsächlich jedoch verspürte er keinerlei Furcht, keine Kälte oder Schwärze, bloß eine Art Frieden, der ihn bis ins Innerste durchflutete. Er holte tief Luft und neigte den Kopf. »Michael«, sagte er.
    Als Spezialagent Dane Carver wieder aus dem Beichtstuhl herauskam, trat Delion einen Schritt zurück. Er sagte nichts, denn er sah, dass der Mann Tränen in den Augen hatte.
    »Kommen Sie, gehen wir jetzt ins Pfarrhaus«, sagte Dane, und Delion nickte nur.
    Sie gingen um die Rückseite der Kirche herum zur Pfarrei, die hinter ein paar Eukalyptusbäumen und einem hohen Zaun versteckt lag. Es war stiller hier, als Dane vermutet hätte, der Verkehr war kaum zu hören. Das Pfarrhaus war ein hübsches zweistöckiges Gebäude, die roten Backsteinwände waren mit dichtem grünem Efeu überwuchert. Im Hintergrund stand leise plätschernd ein Springbrunnen. Alles roch so frisch.
    Michael war tot, und alles roch frisch.

4
    Als er die beiden Männer hereinkommen sah, erhob sich Vater Binney sofort von dem kleinen Empfangstisch, hinter dem er saß. Er war ein geradezu winziger Mann mit dem Kopf eines Leprechauns, eines irischen Kobolds. Solche flammend roten Haare hatte Dane noch nie gesehen, nicht das kleinste bisschen Grau oder Weiß in Sicht. Damit konnte es nicht mal Sherlock aufnehmen. Und dabei war Vater Binney fast sechzig. Erstaunlich.
    Er streckte die Hand aus, als er Delion sah, doch im nächsten Moment schien es, als wolle er in Ohnmacht fallen. Er hielt sich an der Stuhllehne fest und starrte Dane an wie einen Geist.
    »Mein Gott, haben Sie mich erschreckt.« Er griff sich an die Brust. »Sie müssen Vater Michael Josephs Bruder sein, ja genau. Jesus, Maria und Josef, sie sehen sich vielleicht ähnlich. Hat mir einen richtigen Schock versetzt. Aber kommen Sie doch rein, meine Herren, kommen Sie rein. Inspektor Delion, wie nett, Sie wiederzusehen. Sie müssen müde sein.«
    »Hab ’ne lange Nacht hinter mir«, bestätigte Delion, während er Vater Binney folgte. Zu Dane sagte er: »Ich war heute Morgen, kurz vor acht, schon mal bei Vater Binney. Das war, nachdem die Jungs von der Spurensicherung endlich fertig waren und die Kirche wieder freigegeben haben.«
    Und mir hast du kein Sterbenswörtchen davon gesagt, dachte Dane. Aber es hätte ihn auch überrascht, wenn Delion die Pfarrei nicht sofort aufgesucht hätte.
    »Er hat mit allen gesprochen«, meinte Vater Binney. »Sie haben nichts in Vater Michael Josephs Zimmer gefunden, oder, Inspektor Delion?«
    »Nein, nichts Ungewöhnliches jedenfalls.«
    Vater Binney führte sie kopfschüttelnd in ein kleines Empfangszimmer. Es war voller alter, verkratzter, dunkler, aber dennoch eleganter chinesischer Möbel. Den Boden bedeckte ein noch älterer persischer Teppich, der an manchen Stellen derart fadenscheinig war, dass Dane sich fürchtete, draufzutreten. Auf den schweren roten Vorhängen prangten schwarze Drachen. »Bitte setzen Sie sich doch, meine Herren.« An Dane gewandt sagte er: »Mein aufrichtiges Beileid, Mr. Carver, zum Tod Ihres Bruders. Wir alle leiden sehr unter dem schrecklichen Verlust. Und wir alle mochten Vater Michael Joseph
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