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Denen man nicht vergibt

Titel: Denen man nicht vergibt
Autoren: Catherine Coulter
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lief. Bei einigen zuckte sie zurück, andere waren ihr ebenso gleichgültig wie sie ihnen.
    Sie wartete. Mit einer seltsamen Mischung aus Kummer und Hoffnung blickte sie zum Kruzifix hinauf. Und wartete. Die Luft schien sich zu verändern, schien schaler zu werden, doch nichts, nicht der geringste Laut durchbrach die vollkommene Stille. Kein Geräusch, kein Wispern drang aus dem Beichtstuhl.
    Vater Michael Joseph, der im Beichtstuhl saß, holte erst einmal tief Luft, um etwas ruhiger zu werden. Er wollte diesen Mann nicht sehen, nie wieder, so lange er lebte. Als dieser Mann Vater Binney angerufen und gesagt hatte, er würde so spät noch kommen - es tat ihm schrecklich Leid, aber tagsüber wäre es zu gefährlich für ihn, und er musste einfach beichten, er musste -, da hatte Vater Binney natürlich ja gesagt. Aber es müsse unbedingt Vater Michael Joseph sein, hatte der Mann gesagt, nur er und sonst keiner. Natürlich hatte Vater Binney auch diesem Wunsch nachgegeben.
    Vater Michael Joseph fürchtete, zu wissen, warum der Mann schon wieder da war. Er hatte schon zweimal bei ihm gebeichtet, hatte den reuigen Sünder markiert - ein Mann, der sich zerfleischt, der verzweifelt wünscht, mit dem Töten aufhören zu können, ein Mann, der Gottes Beistand erfleht. Beim zweiten Mal hatte er einen weiteren Mord gestanden, hatte sich reuig gezeigt, hatte all die richtigen Worte wie einstudiert heruntergeleiert, aber Vater Michael Joseph wusste, dass er nicht wirklich bereute, dass er - ja, was? Dass dieser Mann aus irgendeinem unerfindlichen Grund mit seinen Taten prahlen wollte, in der Gewissheit, dass der Priester sowieso nichts dagegen unternehmen konnte. Natürlich konnte Vater Michael Joseph dem guten Binney nicht sagen, warum er diesen bösen Mann nie Wiedersehen wollte. Er hatte nie wirklich an die Existenz des Bösen geglaubt, jedenfalls nicht bis zu jenem schicksalhaften elften September. Und jetzt dieser Mann. Vor anderthalb Wochen war er zum ersten Mal aufgetaucht, dann noch einmal letzten Donnerstag und jetzt wieder. Vater Michael Joseph wusste ohne jeden Zweifel, dass dieser Mann abgrundtief böse war, vollkommen gewissenlos, bar jeder Menschlichkeit. Er fragte sich, ob dieser Mann überhaupt schon einmal in seinem Leben etwas wirklich bereut hatte. Wohl kaum. Vater Michael Joseph hörte das Atmen des Mannes durch das Gitter. Dann sagte der Mann mit leiser, monotoner Stimme: »Vergebt mir, Vater, denn ich habe gesündigt.«
    Diese Stimme würde er überall wiedererkennen, sie verfolgte ihn bis in seine Träume. Er wusste nicht, ob er es noch einmal ertragen konnte. Schließlich sagte er mit fadendünner Stimme: »Wie lauten Ihre Sünden?« Er betete zu Gott, nicht gleich wieder hören zu müssen, dass ein Mensch zu Tode gekommen sei.
    Da lachte der Mann, und es lag Irrsinn in diesem Lachen. »Auch Ihnen einen schönen Tag, Vater. Ja, ich weiß, was Sie denken. Sie haben Recht, ich hab den erbärmlichen Wurm umgebracht, genauer gesagt, ich hab ihn garrottiert. Wissen Sie, was das ist, Vater, garrottieren?«
    »Ja.«
    »Er hat noch versucht, mit den Fingern unter den Draht zu kommen, wissen Sie, um die Schlinge zu lockern, aber es war guter, fester Draht. Gegen Draht hilft kein Weihwasser. Aber ich hab ein bisschen locker gelassen, damit er wieder ein bisschen Hoffnung schöpft.«
    »Ich höre keinerlei Reue in Ihrer Stimme, nur die Befriedigung über Ihre böse Tat. Sie haben es aus reiner, böswilliger Freude getan -«
    Der Mann sagte mit tiefer, klangvoller Stimme: »Aber Sie haben den Rest meiner Geschichte noch gar nicht gehört, Vater.«
    »Und ich will auch nichts mehr hören, kein Wort mehr.«
    Der Mann lachte, ein tiefes Lachen aus dem Bauch heraus. Vater Michael Joseph sagte kein Wort. Im Beichtstuhl war es kalt und stickig, man konnte kaum atmen. Dennoch klebte ihm die Soutane schweißnass am Körper. Er roch seinen eigenen Angstschweiß, seine heftige Abneigung vor diesem Monster. Lieber Gott, mach, dass diese Kreatur verschwindet und nie wiederkommt.
    »Und als er schon geglaubt hat, er hätte den Draht genug gelockert, um mir entwischen zu können, hab ich plötzlich ganz fest angezogen, wissen Sie, und es hat ihm die Finger bis auf die Knochen durchgeschnitten. Er ist mit seinen verdammten Fingern an seinem Hals krepiert. Ich bitte um Absolution, Vater. Haben Sie die Zeitung gelesen? Wissen Sie, wer der Mann war?«
    Das wusste Vater Michael Joseph natürlich. Er hatte es in den Nachrichten gesehen,
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