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Defekt

Defekt

Titel: Defekt
Autoren: Patricia Cornwell
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mit
Einweg-Schutzanzügen - einen für ihn und einen für sich selbst - aufreißt. Mit sie ist Helen Quincy gemeint.
    „Aber es spricht auch nichts dafür. Die beiden haben
Recht.“ Benton blickt der Bahre und ihrer grausigen Last nach, als die Fahrer
des Leichenwagens die Beine wieder ausklappen, um zum Öffnen der Wagentür die
Hände frei zu haben. „Ein Selbstmord, der eigentlich ein Mord ist, und eine
Täterin mit Persönlichkeitsspaltung. Die Verteidiger werden sich freuen.“
    Die Bahre kippelt auf dem sandigen, von Unkraut überwucherten
Boden, und Scarpetta befürchtet schon, dass sie umfallen könnte. Es wäre nicht
das erste Mal, dass ein Toter im Leichensack auf dem Boden landet, was absolut
unpassend und pietätlos ist. Der Anblick macht sie ganz nervös.
    „Bei der Autopsie wird vermutlich Tod durch Erhängen
herauskommen“, stellt sie fest und blickt in den sonnigen, heißen Nachmittag
hinaus, auf das Gewimmel von Menschen. Sie beobachtet, wie Lucy etwas aus dem
Heck des Helikopters holt. Eine Eiskiste.
    Es ist derselbe Helikopter, in dem sie ihr Treo
vergessen hat, eine Gedankenlosigkeit, mit der gewissermaßen alles begann. Das
Versäumnis hat alle, die heute hier versammelt sind, in dieses Höllenloch,
diese Pestgrube, geführt.
    „Mehr werden wir wahrscheinlich nicht über die
Todesursache erfahren“, spricht Scarpetta weiter. „Doch der Rest ist eine ganz
andere Geschichte.“
    Der Rest ist das Leid, das Ev durchmachen musste.
Ihr nackter, aufgedunsener Körper baumelte an über einen Deckenbalken
geschlungenen Seilen; eines davon lag um ihren Hals. Sie ist von
Insektenstichen und Ausschlägen übersät, ihre Handgelenke und Knöchel weisen
eitrige Entzündungen auf. Beim Betasten ihres Kopfes hat Scarpetta lose
Knochensplitter unter den Fingern gespürt. Das Gesicht der Frau wurde förmlich
zerschlagen, ihre Kopfhaut ist voller Wunden und Blutergüsse, und die
Hautabschürfungen wurden ihr vermutlich etwa zum Zeitpunkt ihres Todes
zugefügt. Scarpetta nimmt an, dass Jan/ Stevie/Hog - oder wer sie auch immer
gewesen sein mag, als sie Ev in diesem Haus folterte - immer wieder heftig auf
Evs Leiche eingetreten und eingeprügelt hat, als sie den Selbstmord bemerkte.
Auf Evs Rücken, Bauch und Gesäß sind schwach die Abdrücke einer Schuh- oder
Stiefelsohle zu sehen.
    Reba biegt um die Hausecke, steigt vorsichtig die
morschen Stufen hinauf und tastet sich über die Veranda. Ihr Einweg-Overall
leuchtet weiß, und sie schiebt sich die Maske aus dem Gesicht. In der Hand hält
sie eine oben ordentlich zugefaltete braune Papiertüte.
    „Wir haben einige schwarze Müllsäcke aus Plastik
gefunden“, verkündet sie. „Und zwar in einem eigenen Grab, das flacher ist als
die anderen. Mit Weihnachtsschmuck darin. Die Sachen sind zwar zerbrochen, aber
es handelt sich offenbar um einen Snoopy mit einer Nikolausmütze und eine
Rotkäppchenfigur.“
    „Wie viele Leichen sind es insgesamt?“, fragt
Benton, ganz der kühle Profi-Ermittler.
    Im Angesicht des Todes - selbst unter den
grausigsten Umständen - zuckt er nie mit der Wimper und wirkt stets sachlich
und gelassen. Es macht fast den Anschein, als berühre ihn das alles nicht und
als seien Snoopy und Rotkäppchen nur Fakten, die er ablegen kann.
    Doch seine äußere Ruhe täuscht. Scarpetta hatte
vorhin im Auto und auch im Haus ausreichend Gelegenheit, seine Reaktion zu
beobachten, als ihnen beiden das Ausmaß des ursprünglichen Verbrechens
allmählich klar wurde - des Verbrechens, das damals geschah, als Helen Quincy
zwölf war. In der Küche gibt es einen verrosteten Kühlschrank. Und darin stehen
Behälter mit Yoohoo-Schoko-Drinks, Trauben- und Orangenlimo von Nehi und eine
Packung Kakao, alles vor acht Jahren abgelaufen, zu der Zeit also, als die
zwölfjährige Helen bei ihrer Tante und ihrem Onkel zwangseinquartiert worden
ist. Außerdem liegen da Dutzende von pornographischen Magazinen aus demselben
Jahr, ein Hinweis darauf, dass der streng bibeltreue Sonntagsschullehrer Adger
seine kleine Nichte nicht nur einmal hierher gebracht hat. Sondern öfter.
    „Die beiden Jungen“, sagt Reba, und beim Reden
bewegt sich die Maske unter ihrem Kinn. „Für mich sieht es aus, als hätte ihnen
jemand den Schädel eingeschlagen. Aber das ist nicht mein Fachgebiet“, sagt sie
zu Scarpetta. „Dann sind da noch einige vermischte Leichenteile, offenbar
nackt, aber es liegen auch Kleidungsstücke dabei. Keine der Leichen ist
bekleidet. Anscheinend haben
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