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Defekt

Defekt

Titel: Defekt
Autoren: Patricia Cornwell
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bedrohlich, ist
nur ein Niemand mit einem nichts sagenden Lächeln. Nur seine Augen sind
seltsam, und im Moment liegt ein eigenartiger und beunruhigender Blick in
ihnen.
    „Darf ich Sie etwas fragen?“, richtet sich Basil an
sie.
    „Ja.“ Sie gibt sich keine Mühe, freundlich zu ihm zu
sein.
    „Wenn ich Ihnen auf der Straße begegnen und Ihnen
sagen würde, ich würde Sie erschießen, wenn Sie nicht sofort in mein Auto
steigen, was würden Sie dann tun?“
    „Mich von Ihnen erschießen lassen“, erwidert sie.
„Niemals würde ich in Ihr Auto steigen.“
    Basil sieht Benton an und formt die Finger zu einer
Pistole. „Bingo“, verkündet er. „Die würde ich behalten. Wie spät ist es?“
    Im Zimmer gibt es keine Uhr.
    „Elf nach fünf“, antwortet Benton. „Wir müssen
darüber sprechen, warum Sie sich gerne umbringen würden, Basil.“
     
    Zwei Minuten später hat Dr. Lane das
Oberflächendarstellungs-CT auf dem Computerbildschirm. Daneben befindet sich
die Aufnahme des so genannten Normalen in der Magnetröhre. Kenny Jumper.
    Vor einer knappen Minute hat er sich über die
Gegensprechanlage nach der Uhrzeit erkundigt. Dann, kurz darauf, ist er
unruhig geworden und hat angefangen, sich zu beklagen.
    WONK-WONK-WONK ... hallt es durch das MRT-Labor, als
Josh Kenny Jumpers bleichen, kahlen und augenlosen Schädel rotieren lässt. Er
hat einen schartigen Abschluss unterhalb des Kiefers wie bei einem Geköpften,
weil wegen der Manschette das Signal abbricht. Josh dreht die Abbildung noch
ein Stück, damit er sich in exakt der gleichen Position befindet wie Helen
Quincys ebenfalls kahler, augenloser und wie geköpft wirkender Schädel auf dem
anderen Bildschirm. „Ach, du meine Güte“, sagt er.
    „Ich glaube, ich muss hier raus“, ist Kennys Stimme
über die Gegensprechanlage zu hören. „Wie spät ist es?“
    „O Mann“, sagt Josh zu Dr. Lane, während er die
Abbildung noch ein Stück dreht und seine Augen zwischen den beiden Bildschirmen
hin- und herwandern.
    „Ich muss hier raus.“
    „Noch ein Stück in diese Richtung“, weist ihn Dr.
Lane an und betrachtet ebenfalls erst den einen und dann den anderen bleichen,
augenlosen und kahlen Schädel.
    „Ich muss hier raus!“
    „Da hätten wir's“, verkündet Dr. Lane. „Heiliger
Strohsack!“
    „Ich werd verrückt!“, ruft Josh.
     
    Basil wird immer zappeliger, schaut ständig zur
geschlossenen Tür und fragt schon wieder, wie viel Uhr es ist.
    „Siebzehn nach fünf“, antwortet Benton. „Werden Sie
irgendwo erwartet?“, fügt er spöttisch hinzu.
    Wo möchte Basil in diesem Moment lieber sein als
hier? Etwa in seiner Zelle, wo er sich ganz und gar nicht wohl fühlt? Also hat
er Glück, hier sein zu dürfen. Und zwar mehr, als er verdient.
    Basil zieht etwas aus seinem Ärmel. Zunächst erkennt
Scarpetta den Gegenstand nicht und begreift nicht ganz, was geschieht. Doch
dann springt er auf, stürzt auf sie zu, und der Gegenstand legt sich um ihren
Hals. Er ist lang, weiß und dünn und schnürt ihr die Luft ab.
    „Eine Bewegung, und ich ziehe zu!“, droht Basil.
    Sie bemerkt, dass Benton aufsteht und ihn anschreit,
und spürt das Pochen ihres Pulses. Dann geht die Tür auf, und im nächsten
Moment zerrt Basil sie aus dem Zimmer. Ihr Puls pocht, und sie greift sich an
die Kehle. Der lange, weiße, dünne Gegenstand liegt eng um ihren Hals, und er
zieht daran. Benton ruft etwas. Die Wachen brüllen durcheinander.
     
    64
     
    Vor drei Jahren hat man in McLean bei Helen Quincy
eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert.
    Vielleicht hat sie keine fünfzehn oder zwanzig
verschiedene und autonome Persönlichkeiten, sondern nur drei, vier oder acht.
Wie Benton weiter erklärt, entsteht diese Störung, wenn sich ein Mensch von
seiner primären Identität abspaltet.
    „Eine Anpassungsreaktion auf ein unerträgliches
Trauma“, sagt Benton, während er und Scarpetta nach Westen in Richtung der
Everglades fahren. „Siebenundneunzig Prozent aller Erkrankten wurden sexuell
missbraucht, körperlich misshandelt oder beides, und Frauen leiden neunmal
häufiger daran“, spricht er weiter, als die Sonne sich weiß in der Windschutzscheibe
spiegelt, sodass Scarpetta trotz Sonnenbrille die Augen zukneifen muss.
    Einige Kilometer entfernt schwebt Lucys Helikopter
über einer verlassenen Zitrusplantage, einem Grundstück, das sich noch im
Besitz der Familie Quincy befindet. Und zwar gehört es Helens Onkel Adger
Quincy. Vor etwa zwanzig Jahren ist
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