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Defekt

Defekt

Titel: Defekt
Autoren: Patricia Cornwell
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begegnet sein und sich an sie
erinnern, wenn Sie ein Bild von ihr sehen ...“
    Dr. Lane ist sicher, dass sie die Patientin längst
vergessen hat. Schließlich untersucht sie so viele Menschen, und drei Jahre
sind eine lange Zeit.
    „Moment bitte“, wiederholt sie.
    BANG ... BANG ... BANG ... BANG ...
    Sie geht zu einem Computer und ruft ihre E-Mails
auf, ohne sich zu setzen. Dann öffnet sie die Videodatei, spielt den Film
einige Male ab und beobachtet, wie eine hübsche junge Frau mit dunkelblondem
Haar und dunklen Augen von der Leiche eines unglaublich dicken Mannes
aufblickt, auf dessen Gesicht Maden wimmeln.
    „Gütiger Himmel“, ruft Dr. Lane.
    Die hübsche junge Frau auf dem Film schaut direkt in
die Kamera, sodass sie Dr. Lane anzublicken scheint. Dann schiebt sie ihre
behandschuhte Hand in die Jackentasche des beleibten Toten. Der Film stoppt, und
Dr. Lane lässt ihn noch einmal ablaufen, weil ihr etwas aufgefallen ist.
    Durch die Plexiglasscheibe betrachtet Dr. Lane Kenny
Jumper, dessen Kopf sie am anderen Ende der Magnetröhre kaum ausmachen kann.
Er ist klein und zierlich und sieht mit seiner lose sitzenden dunklen Kleidung
und den schlecht passenden Stiefeln ein wenig wie ein Obdachloser aus. Aber er
ist ein zarter, hübscher Junge und trägt das dunkelblonde Haar in einem Pferdeschwanz.
Seine Augen sind dunkel, und Dr. Lanes Gewissheit wächst. Er ähnelt dem Mädchen
in dem Videofilm so sehr, dass sie Geschwister sein könnten. Vielleicht sogar
Zwillinge.
    „Josh?“, sagt Dr. Lane. „Könnten Sie mal Ihren
kleinen Lieblingstrick mit dem Oberflächendarstellungs-TC anwenden?“
    „Bei ihm?“
    „Ja, und zwar sofort“, erwidert sie knapp. „Beth,
geben Sie ihm die CD mit dem Fall Helen Quincy. Beeilen Sie sich.“
     
    63
     
    Benton findet es ein wenig seltsam, dass vor dem
MRT-Labor ein Taxi steht. Es ist ein blauer Geländewagen, in dem niemand sitzt.
Vielleicht ist es ja der Wagen, der Kenny Jumper am Bestattungsinstitut Alpha
& Omega abholen sollte. Aber warum parkt das Taxi jetzt hier, und wo steckt
der Fahrer? Neben dem Taxi sieht er den weißen Gefängnistransporter, der Basil
zu seinem Fünf-Uhr-Termin hergebracht hat. Er fühlt sich nicht wohl, spricht
viel von Selbstmord und möchte aus der Studie aussteigen.
    „Wir haben so viel in ihn investiert“, sagt Benton
zu Scarpetta auf dem Weg ins Labor. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, welche
Probleme es macht, wenn diese Leute das Handtuch werfen. Verdammt. Vielleicht
hast du ja einen guten Einfluss auf ihn.“
    „Ich werde mich da nicht einmischen, noch nicht
einmal einen Kommentar dazu äußern“, entgegnet sie.
    Vor dem kleinen Zimmer, in dem Benton mit Basil
sprechen und versuchen will, ihm den Ausstieg aus BESTIE und den Selbstmord
auszureden, stehen zwei Gefängnisaufseher. Der Raum gehört zum MRT-Bereich und
ist der, in dem Bentons Unterredungen mit Basil normalerweise stattfinden.
Scarpetta bemerkt, dass die Wachen nicht bewaffnet sind.
    Sie folgt Benton in den Raum, wo Basil an einem
kleinen Tisch sitzt. Er ist nicht gefesselt und trägt nicht einmal Plastikhandschellen.
Scarpettas ohnehin schwache Begeisterung für BESTIE schwindet zusehends, denn
sie hätte so etwas nie für möglich gehalten.
    „Das ist Dr. Scarpetta“, sagt Benton zu Basil. „Sie
gehört unserem Forschungsteam an. Stört es Sie, wenn sie dabei ist?“
    „Ich fände es nett“, erwidert Basil.
    Seine Augen scheinen sich zu drehen, als er
Scarpetta betrachtet. Sie wirken unheimlich auf sie.
    „Erzählen Sie mir, was mit Ihnen los ist“, beginnt
Benton, nachdem er und Scarpetta Platz genommen haben.
    „Sie beide stehen sich nah“, meint Basil, ohne
Scarpetta anzusehen. „Das kann ich Ihnen nicht verdenken“, wendet er sich an
Benton. „Ich habe versucht, mich in der Toilette zu ertränken, und wissen Sie,
was das Komische daran ist? Es ist denen nicht einmal aufgefallen. Das ist doch
zum Schießen. Den ganzen Tag spionieren sie mit einer Kamera hinter mir her,
und wenn ich mich wirklich umbringen will, sieht es keiner.“
    Er trägt Jeans, Tennisschuhe und ein weißes Hemd,
aber weder Gürtel noch Schmuck. Scarpetta hat ihn sich ganz anders
vorgestellt. Größer und kräftiger, nicht so zierlich, unauffällig, zart gebaut
und mit schütterem blondem Haar. Er ist nicht hässlich im eigentlichen Sinne,
nur unscheinbar. Scarpetta vermutet, dass seine Opfer, zumindest anfangs, ganz
ähnlich empfunden haben, als er sie ansprach. Er wirkt nicht
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