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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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in eine andere Richtung, weil er was entdeckt hatte, das es bei uns in Leipzig nicht gab. An einem kleinen Zeitungskiosk fanden wir sogar die BRAVO, die Bibel aller Dreizehn- bis Achtzehnjährigen. Zu viert drängten wir uns um das Titelbild und kriegten lange Gesichter, als wir den horrenden Preis lasen. Mit den paar Forint konnten wir die uns kaum leisten. Ein Großteil unserer Kohle ging ja bereits für den Zeltplatz drauf. Warum hatten sich die DDR-Fritzen da bloß so zickig und ließen uns nur die paar Mark tauschen?
    Gleich an dem kleinen Hafen mit den Segelbooten befand sich die Disco »Space«. Davor war ein kleiner Platz, auf dem sich abends vor allem die jugendlichen Urlauber aus Ost und West trafen. In der Mitte stand ein Springbrunnen, und genau an dem waren wir mit Jens verabredet. Andi lief ein paar Schritte voraus und sah sich suchend um.
    Auf den ersten Blick hatte keiner Jens erkannt. Keiner, außer Andi, der plötzlich »Jens! Jens! Du alter Kunde!« schrie und losrannte und einem Kaugummi kauenden Typenmit weißem Muskelshirt, Jeans und Cowboystiefeln lachend um den Hals fiel. Danach lagen sie sich kurz schweigend in den Armen, und die Mädels und ich kamen uns fast ein bisschen fehl am Platz vor. Aber die beiden lösten sich schnell aus ihrer Umarmung und Jens begrüßte uns ebenfalls überschwänglich.
    »Alles klar, Blume?«, lächelte er mich an, und ich nickte zurück. »Neue Frisur!« Jens zeigte auf meine Morrissey-Tolle.
    »Ja, seit zwei Jahren«, gab ich stolz zurück. »Alle denken immer, das wäre wegen Depeche Mode. Es ist aber wegen The Smiths.« Jens blickte mich kurz verständnislos an.
    »Habt ihr Hunger? Ihr könnt euch doch mit den paar Ost-Kröten hier nix kaufen. Kenn ich noch von früher. Also, woll’n wir was essen gehen? Ich lade euch ein. Heute zahlt Andis großer Bruder ausm Westen.« Jens grinste, boxte Andi und mir kumpelhaft auf die Oberarme und nickte den Mädels aufmunternd zu.
    »Das wäre spitze«, antwortete Andi. »Wir haben seit Tagen nur Tütensuppen und Konsum-Toastbrot gefuttert.«
    Kurze Zeit später saßen wir in einer nahe gelegenen Pizzeria und blätterten in der Speisekarte. Die Klamotten von Jens und sein selbstbewusster Auftritt hatten bei den Kellnern keinen Zweifel aufkommen lassen, dass es sich hier um einen Menschen mit West-Kohle in der Tasche handelte, und so bekamen wir sogar einen Tisch auf der Terrasse. Andi musste erst mal alles Mögliche über Leipzig erzählen.
    »Und was macht eigentlich Susi?«, fragte Jens anschließend. Susi war Jens’ letzte Freundin in Grünau gewesen.
    »Die hat geheiratet. Vor einem Jahr«, antwortete Andi.
    Jens wirkte für einen kurzen Moment nachdenklich, dann grinste er: »Das sieht ihr ähnlich. Die hätte mich damals am liebsten auch unter die Haube gebracht. Aber für so was hätte ich im Moment gar keine Zeit. Die Geschäfte, ihr versteht.« Wir nickten und verstanden nicht.
    »Was machst du jetzt eigentlich beruflich?«, fragte ich Jens, nachdem der wichtigste Klatsch und Tratsch aus unserem Viertel und der Rakete erzählt war.
    »Ich bin in der Autobranche und handle mit Gebrauchtwagen. Super Geschäft. Läuft prima«, sagte Jens freudestrahlend. »Ich zeig euch nachher mal meinen Mercedes. Ist ein schwarzer E 300, Baujahr 1987 mit 137 PS. Der geht ab wie Schmidts Katze! Ein super Schlitten! So ein Auto gibt es in der ganzen DDR nicht. Wir können ja dann mal eine Spritztour machen, okay?«
    »Cool«, rief Andi, »Lässt du mich ans Steuer?«
    »Bist du bescheuert? Mein Mercedes ist doch kein alter Wartburg. Da muss man schon Ahnung haben.«
    »Alter Angeber!« Andi tat beleidigt. Jens knuffte ihn in die Seite: »Mensch, Kleiner, mach nich so dicke Backen. Vielleicht morgen.«
    Nach dem Essen führte uns Jens zu seinem Mercedes, und ich bekam eine Vorstellung davon, was er mit »Geschäfte« meinte.
    »Das ist das Schmuckstück. Spezialausführung, da gibt es nur ganz wenige von«, erklärte er. »Los, Leute, steigt mal ein, aber vorsichtig, das sind echte Ledersitze!«
    Andi nahm vorne auf dem Beifahrersitz Platz. Ich setzte mich mit den Mädels auf die Rückbank. Der Wagen roch innen nach Leder, Tabak und Vanille oder so was in derArt, völlig anders als der Warti, überhaupt anders als alle Ost-Schlitten.
    »Achtung, Leute, jetzt kommt der absolute Knüller: Clarion-Autohifisystem mit Zehnfach-CD-Wechsler.« Ohrenbetäubende Musik setzte ein, Jens hatte die Anlage voll aufgedreht, und unsere Hintern
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