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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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er mich.
    »Entschuldigung, ein was?«, fragte ich zurück.
    »T3, so heißt das Modell, VW-Bus T3«, sagte er.
    »Ach, Sie kommen wohl aus dem Osten?« entgegnete seine Frau freundlich, fast mitleidig.
    »Ja, aus Leipzig.«
    »In Leipzig war ich mal als junger Mann zur Messe. Gibt es die noch?«, fragte der Mann.
    »Zweimal im Jahr«, antwortete ich.
    Auf ihrem Campingtisch lagen bunte Zeitschriften, die ich nicht kannte. Auf einer sah man das DDR-Wappen aus Stacheldraht. Der Mann bemerkte, wie ich dorthin schielte.
    »Interessieren Sie sich für das Spiegel-Magazin? Das haben wir schon ausgelesen. Wenn Sie möchten … Sie müssen es nicht zurückbringen, wir hätten es bloß weggeworfen.«
    »Oh, gerne, danke! Das ist ja nett«, entgegnete ich erfreut. Er hob das Magazin vom Tisch auf und hielt es mir entgegen. Ich ging einige Schritte auf ihn zu und nahm es. »Explodiert die DDR? Massenflucht aus Honeckers Sozialismus«, stand in großen Buchstaben auf dem Titelblatt.
    »Ich weiß allerdings nicht, ob Sie das Heft mit über die Grenze nehmen dürfen, junger Mann«, sagte er noch.
    »Stimmt. Danke für den Hinweis.« Ich wandte mich zum Gehen, weil Andi und die Mädels fragend zu mir schauten. Aber mir fiel noch was ein.
    »Bei uns gibt es zwar keinen T3 aber dafür einen T 34. Das ist ein russischer Panzer, und der ist als Wohnmobil eher ungeeignet.«
    »Na hoffen wir mal, dass wir so einem nicht auf der Autobahn begegnen.« Der Mann und seine Frau lachten, und ich verabschiedete mich.
    Zurück bei den anderen am Strand präsentierte ich stolz mein Geschenk.
    »Mensch, Kunde, ist das geil«, sagte Andi und wollte mir gleich das Heft aus der Hand reißen.
    »Nix da, das is meine«, erwiderte ich und hielt das Heft in die Höhe. »Komm, wir schauen zusammen rein.« Wir setzten uns und blätterten darin. Anke lag in der Sonne. Nur Katrin hatte sich neben Andi gehockt und schaute ihm über die Schulter. Es ging seitenweise um die Ausreisewelle aus der DDR. Immer mehr junge Leute sollen in westdeutsche Botschaften geflüchtet sein oder es direkt über die ungarische Grenze nach Österreich versuchen.
    »Hier steht, dass dieses Jahr 100.000 in den Westen gehen. Das wäre so, als wenn in ganz Grünau keiner mehrwohnen würde und drum rum auch niemand. Stell dir das mal vor.«
    Wir verstanden nicht alles, was dort investigative West-Journalisten versuchten, den Lesern über die deutsch-deutschen Beziehungen zu erklären, aber über all diese Dinge hatten wir zuvor in keiner einzigen Ost-Zeitung gelesen.
    »Es scheint, als ob drüben die Kunden vom Spiegel besser über die Zone Bescheid wissen als wir«, meinte Andi nach einer Weile und nickte anerkennend.
    Nach Erzählungen von Andi muss das konspirative Telefonat mit seinem Bruder ungefähr so abgelaufen sein:
    »Mensch Bruderherz, wo machst du denn dieses Jahr Urlaub?« – »Am Balaton. Ich fahr mit ein paar Kumpels.« – »Ah, der Plattensee, da war ich letztes Jahr, aber das ist nichts für mich. Ich fahr nach Italien oder so, aber für dich, Bruderherz, ist das schon nett dort. Da gibt es eine Disco in Siófok, die heißt ›Space‹, da musst du unbedingt hin, da sind viele schöne Mädels. Komm nicht zu spät, am besten gleich achtzehn Uhr. Achtzehn Uhr, verstehst du Bruderherz?« – »Ist das nicht zu zeitig? Bei uns gehen die Discos immer erst nach zwanzig Uhr los.« – »Nein Bruderherz, achtzehn Uhr. Wann seid ihr dort?« – »Äh, so ab 17. August, glaub ich.« – »Ja super, am 19. ist dort immer ’ne heiße Party. Da musst du unbedingt hin. Wird dir gefallen.« – »Hä? Ach so. Ja jetzt versteh ich, alles klar. Bis … also danke für den Tipp.«
    Na ja, besonders unauffällig war das nicht.
    Andi erzählte den Mädels beim Frühstück von dem geplanten Treffen mit seinem Bruder und lud uns alle ein mitzukommen,da Jens bestimmt genug »ordentliche« Kohle dabeihätte, um uns zum Essen einzuladen.
    Zuvor bummelten wir noch durch den Ort. Vorbei an kleinen Geschäften, die mit großer bunter Schrift und farbigen Lichtschlangen ihr Warensortiment anpriesen: »Jeans«, »Music« und »Hotdogs«. Ich erinnerte mich an die Einkaufsstraße in Baabe auf der Insel Rügen, wo ich vor einigen Jahren mit meinen Eltern im Urlaub gewesen war und kam mir jetzt vor, als wären wir hier auf einem anderen Planeten. An jeder Kneipe hingen Leuchtkästen von Pepsi-Cola oder Coca-Cola und auch von einigen österreichischen Biersorten. Immer wieder zeigte einer von uns
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