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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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Komma nichts ist die Karre fit für unseren Urlaub.« Andi fuhr sich mit der ölverschmierten Hand über die Stirn und hinterließ eine graubraune Kriegsbemalung. »Mensch, Friedemann, das wird großartig. Ungarn! Wir beide und die Mädels! Und mein Bruder lädt uns zum Essen ein!« Den letzten Satz hatte Andi verschwörerisch geflüstert. Er lachte und ging ins Haus.
    Friedemann. Andi nannte mich immer noch bei meinem Vornamen, dabei war ich für die meisten nur »Blume« – von Blumenstrauß. Ausgerechnet mein Vater hieß so. Bei so einem Nachnamen gab es für mich nach der zehnten Klasse eigentlich nur eins: Gärtner werden, denn in einem Blumenladen zu arbeiten, war doch mehr was für Mädchen.
    Mein Vater Horst hatte meiner Mutter 1967 sofort einen Heiratsantrag gemacht, als sie sagte, sie hieße Rosemarie. Das war bei einer Betriebsfeier im Kirow-Werk. Er war damals Schlosser, und sie arbeitete als Sekretärin in der Verwaltung. Später ist mein Vater dann in die Planung aufgestiegen. Mit eigenem Büro. Und nachdem ich 1970 geboren wurde, arbeitete meine Mutter nur noch dreißig Stunden die Woche.
    In den ersten Schuljahren hatten mich meine Mitschüler manchmal wegen des Nachnamens aufgezogen. In der fünften Klasse war ich darum in einen Kanuverein eingetreten und hatte mir auf dem, nach chemischen Abwässern stinkenden, Elsterflutbett einige Muskeln antrainiert. Deshalb gab es eines schönen Tages nach einer unvorsichtigen Bemerkung von Sven, der einen Kopf größer war als ich, ein paar Ohrfeigen, und seitdem war endlich Ruhe. Nur meinen Spitznamen Blume, den wurde ich nicht mehr los.
    Andi kannte ich, seit meine Eltern 1981 mit mir nach Grünau ins »WK 1« gezogen waren. Zuvor hauste unsere Familie in einer runtergekommenen Bude in Lindenau mit nur einem Waschbecken und Klo auf halber Treppe. Jetzt lebten wir in einem »Wohnkomplex«. Sechzig Quadratmeter mit Bad und Heizung, wir im zweiten Stock, Andi im vierten. Grünau – das klang dörflich, so nach grüner Idylle. In Wirklichkeit wohnten in diesem aus dem Boden gestampften neuen Stadtteil von Leipzig 85.000 Menschen, und Grün war hier eher wenig zu finden. »Arbeiterschließfach« nannten manche das Viertel. In der ersten Zeit verfuhren sich immer die Krankenwagen, weil die neuen Straßen im Zickzack verliefen. Das war auch der Grund, warum Andi schon als Teenie einen alten Wartburg 311er Kombi erbte, denn Andis Vater hatte im Mai 1984 einen tödlichen »Getränkeunfall« gehabt. Er war besoffen auf das Flachdach eines der Hochhäuser geklettert, um sich einen »Überblick« zu verschaffen, war die Kante entlang balanciert – und runtergefallen. Das stand sogar in der Zeitung, und Andi hatte den Artikel an seine Wand gepinnt. Aber näher darüber gesprochen haben wir nie, er wollte das irgendwie nicht.
    Neben dem Zeitungsausschnitt hing ein Bild von Billy Idol. Andi vergötterte ihn wie sonst niemanden. Sogar beim Tanzen verzog Andi seine Oberlippe wie Billy und ballte dazu die Fäuste – falls er beim Luftgitarrespielen gerade eine Hand frei hatte. Beim Trommeln am Schlagzeug machte er das ähnlich. Mann, waren wir cool.
    Und wir hatten den Warti. Weil Andis Mutter keine Fahrerlaubnis besaß und Jens, sein großer Bruder, 1987 dauerhaft und offiziell in den Westen ausgereist war, gehörteder Warti ihm. Er war der King von Grünau, und wir machten mit unseren sechzehn Jahren die ersten Spritztouren durch die Gegend. Das Fahren hatte ihm noch sein Bruder auf dem nahe gelegenen Garagenhof beigebracht. Die Fahrerlaubnis, die Andi zwei Jahre später bei der vormilitärischen Ausbildung während seiner Lehre zum Maschineninstandhaltungsmechaniker machte, war dann nur noch Formsache.
    Die technischen Daten kannte ich mittlerweile auswendig, weil Andi sie mir immer wieder vorgebetet hatte: Wartburg 311 Camping – das war die Kombivariante, Baujahr 1964, 45 PS, Dreizylinder-Zweitaktmotor, 991 Kubikmeter Hubraum, Viergang-Lenkradschaltung, Pumpenumlaufkühlung mit Thermostat, Zahnstangenlenkung mit geteilter Spurstange, Lichtmaschine mit temperaturkompensiertem Spannungsregler, Anlasser mit elektromagnetischem Schubschraubtrieb, Höchstgeschwindigkeit bei voller Ladung 100 km/h. Das Ding war gut in Schuss, denn wenn sein Vater nicht gerade stockbesoffen von der Arbeit gekommen war, hatte er viele Stunden an diesem Oldtimer gebastelt.
    Andi kam zurück mit einem verdreckten runden Teil aus Gusseisen in der Hand, das er mit einem ebenfalls nicht ganz
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