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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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Kapitel I
    Auf dem Rückweg mußte die Kalesche in der Menge der Wagen, die am Seeufer entlang heimkehrten, Schritt fahren. Einmal wurde das Gedränge so groß, daß sie sogar halten mußte.
    Die Sonne ging in einem hellgrauen Oktoberhimmel unter, der am Horizont von schmalen Wolken gestreift war. Ein letzter Strahl, der zwischen den fernen, dichten Baumgruppen beim Wasserfall hindurchglitt, lief die Allee entlang und überflutete die lange, jetzt unbewegliche Wagenreihe mit einem blassen gelbroten Licht. Der goldene Schimmer, die lebhaften Lichtreflexe, die von den Rändern zurückgeworfen wurden, schienen an den strohgelben Zierkanten der Kalesche hängengeblieben zu sein, in deren dunkelblauen Seitenflächen sich Ausschnitte der umgebenden Landschaft spiegelten, und darüber, im vollen rötlichen Abendschein, der sie von hinten her beleuchtete und die Kupferknöpfe ihrer halb zusammengefalteten, vom Sitz herabhängenden Mäntel aufglänzen ließ, hielten sich der Kutscher und der Diener in ihrer tiefblauen Livree, ihren beigefarbenen Beinkleidern und schwarzgelbgestreiften Westen starr aufgerichtet, ernst und geduldig wie Lakaien eines vornehmen Hauses, die durch kein Wagengedränge aus der Ruhe zu bringen sind. Ihre mit einer schwarzen Kokarde geschmückten Hüte wirkten sehr würdig. Nur die Pferde, ein Gespann herrlicher Brauner, schnaubten vor Ungeduld.
    »Sieh da«, sagte Maxime, »dort in dem Kupee1 sitzt Laure d’Aurigny … Schau doch mal hin, Renée!«
    Renée richtete sich leicht auf und blinzelte mit der reizenden Schmollmiene, die sie der Schwäche ihrer Augen verdankte. »Ich glaubte, sie sei durchgebrannt«, entgegnete sie. »Hat sie nicht die Haarfarbe gewechselt?«
    »Ja«, antwortete Maxime lachend. »Ihr neuer Geliebter kann Rot nicht ausstehen.«
    Die Hand auf den niedrigen Wagenschlag der Kalesche gestützt, beugte sich Renée vor und sah hinüber, erwacht aus dem traurigen Traum, der sie seit einer Stunde schweigen ließ, tief in den Fond des Wagens zurückgelehnt, wie eine Genesende auf ihrem Ruhebett. Über einem malvenfarbenen Seidenkleid mit Tunika und lose herabfallender Vorderbahn, das mit breiten plissierten Volants garniert war, trug sie einen kleinen, sehr auffallenden Mantel aus weißem Tuch mit malvenfarbenen Samtaufschlägen. Ihr eigenartig mattblondes Haar, dessen Farbe an feine Butter erinnerte, wurde von dem Hütchen, das ein Tuff Bengalrosen zierte, kaum bedeckt. Sie blinzelte immer noch und hatte dabei ihr gewohntes keckes Jungengesicht, dessen reine Stirn von einer großen Falte durchfurcht war und dessen Mund mit der vorspringenden Oberlippe dem eines schmollenden Kindes glich. Weil sie schlecht sah, ergriff sie jetzt ihr Lorgnon, ein in Schildpatt gefaßtes Herrenlorgnon, und indem sie es frei in der Hand hielt, ohne es auf die Nase zu setzen, musterte sie mit vollendetem Gleichmut die rundliche Laure d’Aurigny, die sich offenbar recht wohl fühlte.
    Noch immer kamen die Wagen nicht von der Stelle. Inmitten der gleichmäßigen, dunkelgetönten Flecken, welche die an diesem Herbstnachmittag im Bois de Boulogne2 äußerst zahlreichen Fahrzeuge bildeten, blitzten hier die Ecke eines Spiegels, die Kandare eines Pferdes auf, dort die silberne Fassung einer Laterne oder die Tressen eines Bedienten hoch oben auf seinem Sitz. Hie und da leuchtete aus einem offenen Landauer ein Stück Stoff hervor, ein Stück von einem Frauenkleid aus Seide oder Samt. Nach und nach hatte sich eine große Stille auf all diesen zur Unbeweglichkeit erstarrten Trubel gesenkt. Man hörte jetzt vom Wagen aus die Unterhaltung der Spaziergänger. Stumme Blicke wurden von Wagenschlag zu Wagenschlag gewechselt, und niemand sprach mehr bei diesem allgemeinen Warten, das nur durch das Knirschen des Zaumzeugs und den ungeduldigen Hufschlag eines Pferdes unterbrochen wurde. In der Ferne verloren sich die verworrenen Stimmen des Bois.
    Trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit war ganz Paris hier versammelt: die Herzogin de Sternich in einem achtfedrigen Wagen; Frau de Lauwerens in einer ganz vorschriftsmäßig bespannten Viktoria3; die Baronin Meinhold in einem entzückenden rotbraunen Cab4; die Gräfin Vanska mit ihren schwarz und weiß gescheckten Ponys; Frau Daste und ihre berühmten schwarzen Stepper5; Frau de Guende und Frau Teissière in einem Kupee; die kleine Sylvia in einem dunkelblauen Landauer. Außerdem Don Carlos, in Trauer, mit seiner altmodischen, feierlichen Dienerschaft; Selim Pascha mit seinem
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