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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr
Autoren: Sascha Lange
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einigen Jahren beim Baden im Beuchaer Steinbruch. Wir waren damals auf einen Felsen geklettert, mindestens zehn Meter über dem Wasserspiegel. Andi sprang, ohne zu zögern, doch ich schaute lange in die Tiefe und kletterte nach einer Ewigkeit wieder zurück.
    Und da waren auch noch meine Eltern. Mein Vater wollte mit mir die Laube unseres Schrebergartens neu bauen und wartete nur darauf, dass ich aus Ungarn wiederkomme, damit er und ich loslegen konnten. Aber ich schämte mich, Andi das zu sagen und sah ihn nur ratlos an.
    »Scheiß auf alles, Friedemann. Scheiß auf alles! Frauen und Autos gibt es drüben ohne Ende. Die Mädels können mit dem Zug zurück oder kommen halt mit rüber. Was sollen wir denn noch in der Zone? Willst du dich bis an dein Lebensende für die paar Ost-Piepen in einer Gärtnerei abplagen? Du siehst doch, was mein Bruder jetzt für ’nen Schlitten fährt, nach nur drei Jahren im Westen. So einen Wagen kannst du dir bei uns nicht mal zusammensparen. Weil’s sowas gar nicht gibt. Und drüben könnten wir eine neue, viel geilere Band gründen. Das wäre doch was. Mensch, Friedemann.«
    Ich trank den Rest von meinem Bier aus, zerdrückte langsam die Dose und schaute vor zum Wasser, wo Anke und Katrin inzwischen barfuß am Ufer standen. In meinem Kopf drehte sich alles, und das lag nicht am Alkohol. Ich dachte an die letzte Nacht in der Disco – ich hatte mit Anke langsam getanzt. Auch wenn ich auf dem Nachhauseweg daran nicht anknüpfen konnte, weil sie und Andi die stockbesoffene Katrin stützen mussten, glaubte ich, dass das was ganz Großes werden konnte.
    »Ich komme nur mit, wenn Anke mitkommt«, rutschte es plötzlich aus mir heraus, ich hatte kaum darüber nachgedacht.
    Andi fuhr herum: »Du bist doch bescheuert! Kunde, vermassel dir nicht deine Zukunft wegen so ’nem Mädel.«
    »Du redest ja wie ’n Spießer!«
    »Quatsch nicht!«, Andi schrie schon fast. Dann, nachdem er sich beruhigt hatte, fuhr er wieder leise fort: »Mensch, Friedemann. Wir sitzen hier nicht weit von der Freiheit entfernt. Echte Freiheit. Nur ein kleiner Waldspaziergang, ein bisschen über eine Wiese gerobbt und wir sind dort, wo wir schon immer sein wollten. Dann wäre der Mist, den wir bei der vormilitärischen Ausbildung gelernt haben, doch noch zu was nütze. Wenn das unsere Lehrer wüssten, für was sie uns trainiert haben. Willst du dir das wegen so ’ner Tussi versau’n?«
    Die Mädels schauten zu uns rüber, winkten und kamen langsam in unsere Richtung gelaufen.
    »Du musst ihnen Bescheid sagen«, meinte ich zu Andi.
    »Logo. Aber können wir ihnen überhaupt vertrauen? Nicht, dass Anke noch zu Hause anruft und uns hier die Stasi auf ’n Hals hetzt«, antwortete Andi.
    »So ’n Quatsch! Nicht Anke. Du hast doch gesehen, wie die den Grenzer übers Ohr gehauen hat«, entgegnete ich empört.
    Und da standen sie schon vor uns.
    Andi machte kurzen Prozess. »Die Sache ist die«, sagte er nach einer kurzen Pause zu ihnen, »ich komme nicht mit zurück nach Leipzig.« Keine Reaktion, nur betretenes Schweigen. »Warum, könnt ihr euch bestimmt denken.«Katrin hielt sich erschrocken die Hand vor dem Mund und schaute uns mit großen Augen an. Andi fuhr unbeirrt fort: »Ich biete euch allen an mitzukommen, ich gehe aber auch alleine.«
    Bei diesen Worten fixierte er kurz Katrin mit seinem Blick. Sie blickte etwas verschämt nach unten, wohl wegen der Knutscherei gestern. Vielleicht war sie aber auch in ihn verliebt.
    »Mein Bruder weiß eine Stelle an der ungarisch-österreichischen Grenze, wo man gut rüberkommt. Todsicher.«
    »Ja bestimmt, todsicher!«, platzte Anke etwas zynisch heraus. Dann schwiegen wieder alle.
    Andi stand auf. »Also, überlegt es euch. Ich muss jetzt noch mal zu meinem Bruder. Sagt mir bis morgen Früh Bescheid. Und bitte: Klappe halten! Sonst wandern wir alle in den Knast. Ohne Scheiß.« Er ging und alle blickten ihm stumm hinterher.
    »Der ist doch lebensmüde«, sagte Anke, nachdem Andi außer Hörweite war. »Das ist viel zu gefährlich.« Katrin schwieg und schaute auf das Gras zwischen ihren Füßen.
    »Gehst du denn mit?«, fragte mich Anke.
    »Na ja … ich weiß nicht. Das kommt doch alles etwas plötzlich. Wie seht ihr denn die Sache?«, fragte ich zurück.
    Anke war inzwischen aufgestanden und starrte aufs Wasser. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie angestrengt nachdachte. Nach kurzer Zeit wandte sie sich Katrin und mir wieder zu: »Ich fahre auf jeden Fall zurück nach
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